Lange wurde der türkische Gelehrte und Prediger Fethullah Gülen und die nach ihm benannte "Gülen-Bewegung" in Deutschland -zumindest medial- kaum beachtet. Nun erschien zu diesem Thema innerhalb kürzester Zeit schon der zweite Beitrag in einem deutschen Leitmedium. Auffällig ist die diametral entgegengesetzte Meinung der beiden Verfasser von "Der Pate" im Spiegel (eine Kritik zum besagten Spiegelartikel finden sie hier) und dem jetzt erschienenen Beitrag von Rainer Hermann in der FAZ vom 10.11. Ob diese Unterschiede wohl daher rühren, dass der letztgenannte Verfasser im Gegensatz zum Spiegel-Autor auch MIT statt nur ÜBER Gülen geredet hat?
Ein Beitrag von Rainer Hermann, FAZ
Kein Schild weist auf die Abzweigung
und den schmalen Feldweg hin. Er führt durch nebligen und herbstlich
gefärbten Laubwald zu einem Anwesen mit acht Häusern. An diesen einsamen
Ort zog sich vor 13 Jahren Fethullah Gülen zurück, der einflussreichste
Prediger des türkischen Islams. Das Militär, damals noch mächtig, hatte
ihn aus der Türkei vertrieben. Von Krankheiten geplagt, ließ er sich in
amerikanischen Krankenhäusern operieren. Seither hat er das Anwesen
kaum verlassen. Die Vereinigten Staaten gaben ihm Visum und
Aufenthaltsrecht. Doch auch aus der Ferne blieb der 74 Jahre alte Gülen
in der Heimat ein mächtiger Mann. Sein Einfluss war es, der aus den
anatolischen Muslimen eine dynamische Mittelschicht schuf. Gülen ist die
Stimme dieser „schwarzen Türken“.
Die „weißen Türken“, das sind die Anhänger Kemal
Atatürks, die Anhänger des Kemalismus, die Ideologie der urbanen,
gebildeten und säkularisierten Oberschicht Istanbuls, später auch
Ankaras. Sie herrschte über die Türkei und blickte mit Verachtung auf
die Anatolier herab, die ungebildet waren, provinziell, arm und fromm.
Motiviert durch Gülens Lehren, strebten nun viele nach Bildung und
wurden wohlhabend, blieben aber weiter fromm. Da Gülen die kemalistische
Elite wirkungsvoll in Frage stellte, erklärte sie ihn zum Staatsfeind.
Seine Rückkehr würde Gräben aufreißen. Deshalb bleibt der konfliktscheue
Gülen in Sailorsburg in Pennsylvania.
Montag, 12. November 2012
Rechtsextremismus-Studie: Jeder dritte Ostdeutsche ist ausländerfeindlich
Die SPD-nahe
Friedrich-Ebert-Stiftung analysierte in einer aktuellen Studie extremistische Einstellungen in Deutschland - die Ergebnisse sind alarmierend: Im Osten Deutschlands ist Rechtsextremismus weit
verbreitet. Doch nicht nur dort: Landesweit gibt es 60% Zustimmung für islamfeindliche Aussagen. Jeder zehnte Deutsche sehnt sich gar nach einem "Führer".
Ein Beitrag aus der SZ
Rechtsextreme Einstellungen nehmen in Deutschland zu. Neun Prozent aller Deutschen haben ein "geschlossenes rechtsextremes Weltbild", zeigt die aktuelle Studie "Die Mitte im Umbruch. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2012" der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Vor zwei Jahren waren es noch 8,2 Prozent. Befragt wurden 2513 Menschen in Deutschland. Besonders auffällig ist, dass sich der Osten weiter radikalisiert. Knapp 16 Prozent der Menschen in den neuen Bundesländern haben der Studie zufolge ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild - der höchste bisher gemessene Wert.
Samstag, 20. Oktober 2012
Urteil gegen Diskriminierung: Kopftuch kein Ablehnungsgrund
Darf das Tragen eines Kopftuches ein Grund für eine Ablehnung in einem Bewerbungsverfahren sein? Eine Abiturientin bewarb sich bei einem Zahnarzt um einen
Ausbildungsplatz. Sie ist qualifiziert, aber sie trägt ein Kopftuch, das
sie auch während der Arbeitszeit nicht ablegen wollte. Darum bekam sie
die Stelle nicht und zieht vor Gericht. Sei bekam recht!
Ein Bericht aus der SZ
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) soll Bewerber und Arbeitnehmer davor schützen, in der Berufswelt diskriminiert zu werden. Seit das Gesetz vor sechs Jahren in Kraft getreten ist, dürfen keine "Krankenschwestern" mehr in Stellenanzeigen gesucht werden, auch "junge Mitarbeiter" sind tabu. Jobs müssen geschlechts- und altersneutral ausgeschrieben werden. Denn das Gesetz bestimmt, dass Bewerber und Arbeitnehmer nicht wegen ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung oder ihres Alters diskriminiert werden dürfen.
Vor dem Berliner Landesarbeitsgericht landete im Frühjahr
dieses Jahres ein Fall, bei dem das Gesetz abermals zur Anwendung kam -
und dessen Urteil richtungsweisend für Tausende Bewerbungsverfahren
sein dürfte.
Ein Bericht aus der SZ
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) soll Bewerber und Arbeitnehmer davor schützen, in der Berufswelt diskriminiert zu werden. Seit das Gesetz vor sechs Jahren in Kraft getreten ist, dürfen keine "Krankenschwestern" mehr in Stellenanzeigen gesucht werden, auch "junge Mitarbeiter" sind tabu. Jobs müssen geschlechts- und altersneutral ausgeschrieben werden. Denn das Gesetz bestimmt, dass Bewerber und Arbeitnehmer nicht wegen ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung oder ihres Alters diskriminiert werden dürfen.
Sonntag, 30. September 2012
Erkan war mindestens ebenbürtig
Diskriminiert unser Bildungssystem? Werden Kinder aus sozial schwächeren Familien strukturell benachteiligt? Ja, meint die Soziologin Jutta Allmendinger. Sie musste mit ansehen, wie ihr gut situiertes Patenkind
gefördert wurde, während Klassenkameraden der Aufstieg verwehrt blieb.
In einem Spiegel-Interview fordert Sie, Kinder nicht so früh auszusortieren.
Von Jan Friedmann, Der Spiegel
SPIEGEL: Als Forscherin befassen Sie sich mit dem gesamten Bildungssystem, mit Politik und Strukturen. In Ihrem neuen Buch behandeln Sie die großen Fragen anhand der Entwicklung von vier jungen Menschen, Ihrem Patenkind und drei seiner Freunde. Warum?
Allmendinger: Die vier sind zusammen in den Kindergarten gegangen und inzwischen volljährig. Damals waren sie die engsten Kameraden, inzwischen haben sie sich nicht mehr viel zu sagen. Mich bedrückt, wie weit sich die Lebenswege und die Schulabschlüsse auseinanderentwickelt haben.
SPIEGEL: Ist das nicht normal?
Allmendinger: Ich habe die Bildungskarrieren dieser jungen Menschen über Jahre hinweg begleitet, wir haben viel gemeinsam unternommen. Deshalb glaube ich, dass ich ihre Potentiale gut einschätzen kann. Im Rückblick muss ich feststellen, dass sich nur einer der vier gemäß seinen Fähigkeiten entwickeln durfte. Das empfinde ich als zutiefst ungerecht.
Von Jan Friedmann, Der Spiegel
SPIEGEL: Als Forscherin befassen Sie sich mit dem gesamten Bildungssystem, mit Politik und Strukturen. In Ihrem neuen Buch behandeln Sie die großen Fragen anhand der Entwicklung von vier jungen Menschen, Ihrem Patenkind und drei seiner Freunde. Warum?
Allmendinger: Die vier sind zusammen in den Kindergarten gegangen und inzwischen volljährig. Damals waren sie die engsten Kameraden, inzwischen haben sie sich nicht mehr viel zu sagen. Mich bedrückt, wie weit sich die Lebenswege und die Schulabschlüsse auseinanderentwickelt haben.
SPIEGEL: Ist das nicht normal?
Allmendinger: Ich habe die Bildungskarrieren dieser jungen Menschen über Jahre hinweg begleitet, wir haben viel gemeinsam unternommen. Deshalb glaube ich, dass ich ihre Potentiale gut einschätzen kann. Im Rückblick muss ich feststellen, dass sich nur einer der vier gemäß seinen Fähigkeiten entwickeln durfte. Das empfinde ich als zutiefst ungerecht.
Samstag, 29. September 2012
Muhammed-Schmähvideo: Spot an!
Präsident Obama und Außenministerin Clinton haben in pakistanischen
Fernsehsendern einen Spot geschaltet, in dem sie sich von dem
Muhammed-Video distanzieren. Eine angemessen Reaktion?
Ein Kommentar von Christian Geyer, FAZ
In so einer manipulierten Situation, in der Provokateure sich hinter der Meinungsfreiheit verstecken und politische Extremisten sich als Religionskämpfer ausgeben - in diesem Schauspiel kann es nur darum gehen, mit praktischer Vernunft auf beiden Seiten deeskalierend zu wirken, statt einen blutigen Prinzipienstreit auszukämpfen. Das hat der Karikaturist Klaus Staeck, Präsident der Berliner Akademie der Künste, vor Augen, wenn er nach den jüngsten französischen Mohammed-Karikaturen davon abrät, sich jedes Recht, das einem zusteht, zu jeder Zeit herauszunehmen: „Es gibt keine Meinungsfreiheit ohne Verantwortung. Das müssen die Kollegen mit sich selbst abmachen, ob sie in dieser Situation noch einmal Öl ins Feuer gießen, wenn es schon brennt. Das muss man trotz Satire gut abwägen.“
Auch die Frage, ob das Muhammed-Video hierzulande öffentlich aufgeführt werden sollte, möchte Staeck situativ, nicht prinzipiell besprochen sehen (also nicht nach dem Motto: Meinungsfreiheit jetzt!, koste es, was es wolle). Im konkreten Fall, in dem die Gruppe Pro Deutschland eine gezielte Provokation probt, stelle sich vernünftigerweise die Frage so: „Will man dieser kleinen, rechten Splittergruppe die Freude gönnen, dass sie den Film öffentlich aufführen lassen kann? Da appelliere ich an die Kinobesitzer von Berlin, sich diesem Film zu verweigern.“
Auf deeskalierender Linie läuft auch der Spot, den Präsident Obama in pakistanischen Fernsehsendern geschaltet hat, in dem er selbst und Außenministerin Clinton sich von dem Muhammed-Video distanzieren: „Wir lehnen den Inhalt und die Botschaft absolut ab.“ Die volkspädagogische Pointe: Ein westlicher Filmemacher ist nicht der Westen, und nicht jeder Schmäh gehört verboten geschweige denn mit Gewalt beantwortet.
Das mag, millionenfach unters pakistanische Volk gebracht, eine Geste zur rechten Zeit sein; man wird sie von den jeweiligen islamischen Kreisen ebenso gut als Aufklärung wie als Propaganda hinstellen können. Dass der pakistanische Premier das Muhammed-Video kurz vor dem Freitagsgebet als „Angriff auf 1,5 Milliarden Muslime“ wertete, sieht eher nach Scharfmacherei aus, als solle eine mögliche besänftigende Wirkung des Obama-Spots im Keim erstickt werden.
Ein Kommentar von Christian Geyer, FAZ
In so einer manipulierten Situation, in der Provokateure sich hinter der Meinungsfreiheit verstecken und politische Extremisten sich als Religionskämpfer ausgeben - in diesem Schauspiel kann es nur darum gehen, mit praktischer Vernunft auf beiden Seiten deeskalierend zu wirken, statt einen blutigen Prinzipienstreit auszukämpfen. Das hat der Karikaturist Klaus Staeck, Präsident der Berliner Akademie der Künste, vor Augen, wenn er nach den jüngsten französischen Mohammed-Karikaturen davon abrät, sich jedes Recht, das einem zusteht, zu jeder Zeit herauszunehmen: „Es gibt keine Meinungsfreiheit ohne Verantwortung. Das müssen die Kollegen mit sich selbst abmachen, ob sie in dieser Situation noch einmal Öl ins Feuer gießen, wenn es schon brennt. Das muss man trotz Satire gut abwägen.“
Auch die Frage, ob das Muhammed-Video hierzulande öffentlich aufgeführt werden sollte, möchte Staeck situativ, nicht prinzipiell besprochen sehen (also nicht nach dem Motto: Meinungsfreiheit jetzt!, koste es, was es wolle). Im konkreten Fall, in dem die Gruppe Pro Deutschland eine gezielte Provokation probt, stelle sich vernünftigerweise die Frage so: „Will man dieser kleinen, rechten Splittergruppe die Freude gönnen, dass sie den Film öffentlich aufführen lassen kann? Da appelliere ich an die Kinobesitzer von Berlin, sich diesem Film zu verweigern.“
Auf deeskalierender Linie läuft auch der Spot, den Präsident Obama in pakistanischen Fernsehsendern geschaltet hat, in dem er selbst und Außenministerin Clinton sich von dem Muhammed-Video distanzieren: „Wir lehnen den Inhalt und die Botschaft absolut ab.“ Die volkspädagogische Pointe: Ein westlicher Filmemacher ist nicht der Westen, und nicht jeder Schmäh gehört verboten geschweige denn mit Gewalt beantwortet.
Das mag, millionenfach unters pakistanische Volk gebracht, eine Geste zur rechten Zeit sein; man wird sie von den jeweiligen islamischen Kreisen ebenso gut als Aufklärung wie als Propaganda hinstellen können. Dass der pakistanische Premier das Muhammed-Video kurz vor dem Freitagsgebet als „Angriff auf 1,5 Milliarden Muslime“ wertete, sieht eher nach Scharfmacherei aus, als solle eine mögliche besänftigende Wirkung des Obama-Spots im Keim erstickt werden.
Dienstag, 25. September 2012
Buschkowsky (SPD) polarisiert mit Integrationsschelte
Mit seinem neuen Buch "Neukölln ist überall" provoziert
der Bezirksbürgermeister Buschkowsky heftige Reaktionen. Er fordert mehr Härte gegen Integrationsunwillige, Fundamentalisten und
Straftäter. Manche sehen darin
die "bittere Realität in deutschen Ballungszentren" beschrieben, andere hingegen sprechen von Rassismus.
Von Roland Preuß, SZ
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sagte am Wochenende, Buschkowsky gebe in seinem Buch "Neukölln ist überall" nicht immer die richtigen Antworten. Die von ihm beschriebenen Verhältnisse ließen sich nicht eins zu eins auf ganz Deutschland projizieren, sagte die FDP-Politikerin der Welt am Sonntag. "Er stellt die richtigen Fragen, auch wenn er für die Antworten gelegentlich den großen Pinsel benutzt." Buschkowsky beschreibt in seinem am Freitag erschienenen Buch die gescheiterte Integration von Migranten aus Neuköllner Perspektive. Er fordert mehr Härte gegen Integrationsunwillige, religiöse Fundamentalisten und Straftäter.
Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir warf Buschkowsky vor, in der Sprache des Boulevards zu formulieren. "Hier finden sich die üblichen Verallgemeinerungen, die Geschichten über die angeblich gescheiterte Integration, die übliche Abrechnung mit der multikulturellen Gesellschaft", sagte Özdemir, der selbst türkische Wurzeln hat.
Rassismus oder Beschreibung der Realität?
Der Bezirksbürgermeister von Kreuzberg, Franz Schulz, wirft seinem Neuköllner Kollegen im Spiegel eine "alarmistische, tendenziell rechtspopulistische Grundhaltung" vor. "Aus Kreuzberger Sicht ist das Rassismus - und es spiegelt vor allem nicht unsere Lebenswirklichkeit." Laut Schulz gibt es in seinem Bezirk dank umfangreicher Hilfsangebote große Fortschritte bei den Deutschkenntnissen türkisch- und arabischstämmiger Kinder.
Eher zustimmend äußerte sich Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU). Schuld an den Neuköllner Zuständen seien nicht allein der Staat oder die Gesellschaft, sagte sie. "Diese Jugendlichen müssen auch aufsteigen wollen und müssen erkennen, dass sie dafür was tun müssen." Zu einem funktionierenden Miteinander gehöre zudem Respekt.
Klare Unterstützung kam von Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU). Was Buschkowsky beschreibe, sei bittere Realität in Teilen deutscher Ballungszentren und Großstädte. "Das geht so weit, wie Buschkowsky beschreibt, dass in bestimmten Vierteln ethnisch-religiöse Regeln staatliche Normen verdrängen."
Dienstag, 18. September 2012
Der hohe Preis der Meinungsfreiheit
Die heftigen Proteste gegen das Muhammed-Schmähvideo lassen
nicht nach. In Deutschland und den USA ist jetzt eine Diskussion darüber
entbrannt, wie sich die Verbreitung des Films unterbinden lässt.
Bundesinnenminister Friedrich (CSU) will unbedingt verhindern, dass
Rechtspopulisten den Film zeigen. Das Weiße Haus intervenierte sogar
bei Youtube - ein extrem ungewöhnlicher Schritt.
Von Peter Blechschmidt und Alexandra Borchardt, SZ
Die rechtspopulistische "Bürgerbewegung pro Deutschland" präsentiert es als einen Akt der Meinungsfreiheit. Sie will den islamfeindlichen Film "Innocence of Muslims" in Berlin zeigen, wie sie auf ihrer Internetseite ankündigte, auf der zunächst auch Auszüge aus dem Film abrufbar waren.
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sieht darin
einen Versuch, Islamisten auch in Deutschland zu provozieren. "Damit
gießen sie grob fahrlässig Öl ins Feuer", sagte Friedrich dem Spiegel.
"Dagegen muss man mit allen rechtlich zulässigen Mitteln vorgehen." Der
Bamberger Erzbischof Ludwig Schick unterstützte am Sonntag das Vorhaben
des Ministers.
Das ist leichter gesagt als getan. Die Meinungsfreiheit ist in Deutschland ein hohes Gut und wird vom Grundgesetz garantiert. Möglicherweise könnte man versuchen, der Gruppe wegen eines Verstoßes gegen die Völkerverständigung oder Verunglimpfung eines religiösen Bekenntnisses beizukommen, doch würden solche Schritte gerichtliche Auseinandersetzungen ungewissen Ausgangs bringen.
Von Peter Blechschmidt und Alexandra Borchardt, SZ
Die rechtspopulistische "Bürgerbewegung pro Deutschland" präsentiert es als einen Akt der Meinungsfreiheit. Sie will den islamfeindlichen Film "Innocence of Muslims" in Berlin zeigen, wie sie auf ihrer Internetseite ankündigte, auf der zunächst auch Auszüge aus dem Film abrufbar waren.
Antiamerikanische Proteste in der afghanischen Hauptstadt Kabul. (© REUTERS) |
Das ist leichter gesagt als getan. Die Meinungsfreiheit ist in Deutschland ein hohes Gut und wird vom Grundgesetz garantiert. Möglicherweise könnte man versuchen, der Gruppe wegen eines Verstoßes gegen die Völkerverständigung oder Verunglimpfung eines religiösen Bekenntnisses beizukommen, doch würden solche Schritte gerichtliche Auseinandersetzungen ungewissen Ausgangs bringen.
Mittwoch, 15. August 2012
"Der Pate" - Eine Kritik zum Gülen-Artikel im SPIEGEL
Im "SPIEGEL" 32/2012 ist ein höchst fragwürdiger Artikel von Maximilian Popp über Fethullah Gülen und der ihm zugeschriebenen "Gülen-Bewegung" erschienen. Nicht nur, dass die Einseitigkeit des Artikels in der Deutschen Medienlandschaft ihresgleichen sucht; er ist auch gespickt von de facto falschen Informationen sowie nicht belegten Anschuldigungen.
Eine kritische Analyse
Nun ist es also wieder mal soweit. Wieder einmal ein „Muslim
bashing“ von einem wohl etwas unbedachten, unerfahrenen, jungen Journalisten,
der sich mit Fethullah Gülen und der ihm zugeschriebenen Bewegung befasst.
Diesmal mussten halt die Gülenisten für die Bestätigung gängiger Vorurteile gegenüber
diversen religiösen und kulturellen Einflüssen mit orientalischem Ursprung herhalten.
Selten liest man in den deutschen Leitmedien einen derart
voreingenommenen und undifferenzierten Artikel. Sich augenscheinlich der
journalistisch unbedenklicher Neutralität verpflichtet, lässt der Autor auf
vier Seiten zwar sowohl Befürworter als auch Kritiker der Bewegung zu Wort
kommen, bedient dabei jedoch Zeile für Zeile alle gängigen Vorurteile gegenüber
Muslimen im allgemeinen und der Gülen-Bewegung im speziellen.
Schon der Titel verheißt nichts Gutes: da wird also ein
islamischer Gelehrter, der sich wie kaum ein anderer für den Dialog und für die
Bildung einsetzt, begrifflich in die Nähe eines italienischen Mafiosi gestellt; Francis Ford Coppola lässt grüßen. Das
sich Gülen mehrfach, glaubhaft und entschieden gegen jede Art von Gewalt gestellt
und mit seiner Aussage „Ein Muslim kann kein Terrorist, ein Terrorist kann kein
Muslim sein“ einen einmaligen Vorstoß nach den 9/11-Anschägen gemacht hat, wird
kurzerhand verschwiegen. Wen kümmert es?
Der Text wirkt wie ein Sammelsurium von bereits mehrfach
vorgetragenen gängigen Anschuldigungen gegenüber Gülen. Nach neuen
Erkenntnissen sucht man vergebens, geschweige denn von Beweisen für die vielen Vorwürfe.
Viele der vermeintlichen Anschuldigungen lassen sich mit einem simplen „so
what“ beantworten. Dass der Bewegung mehrere Medienorgane gehören, dass sie
Schulen gründen und in Bildung investieren, sich die Anhänger in WG’s treffen
-wohlgemerkt ganz ohne Alkoholkonsum und stickt getrennt nach Geschlechtern-
liest sich wie eine Aufzählung von Banalitäten.
Bei „echten“ Vorwürfen jedoch horcht man auf. Gülen wird
wahlweise mit Chomeini, Scientology oder mit Opus Dei verglichen. Eine nähere
Erläuterung, wie man zu diesen Vergleichen kommt? Fehlanzeige! Schließlich hat
man ja nur zitiert. Aussteiger hätten es schwer und würden sich um ihre
Gesundheit und Familie sorgen. Das dieser Fall -eine wie auch immer geartete
Gewalt gegenüber Aussteigern- nie und nirgends in der Welt jemals stattgefunden
hat, ist für den Schreiber nicht von Interesse. Der Autor macht sich an dieser
Stelle lächerlich und unglaubwürdig zugleich, wenn er behauptet, der angebliche
Aussteiger wäre aufgrund seiner Faszination von Gülens Frömmigkeit in die WG’s der
Bewegung eingetreten, um danach entsetzt festzustellen, dass er dort keine Frauen
und Alkohol findet. Es sollte ihm in den Lichthäusern aufgezwungen sein, Ungläubige
als Freunde zu finden. Dumm nur, dass er 2 Zeilen weiter behauptet, dass er
kaum Freunde außerhalb der Bewegung haben durfte. Dass bei derartigen
Widersprüchen überhaupt kein Zweifel an der Richtigkeit beim Autor aufkam, sagt
einiges aus.
Auch die Mär von den undurchsichtigen Finanzen darf in einem
solchen Artikel natürlich nicht fehlen. Das alle Gülen-Institutionen
eingetragene, meist gemeinnützige Vereine sind, dass Schulen, Verbände und
Vereine den in Deutschland gängigen Kontrollen der jeweiligen Behörden -auch
dem Finanzamt- unterliegen und sich bis dato nichts zu Schulden haben kommen
lassen, spielt für SPIEGEL keine Rolle. Da passt es auch ins Bild, dass das
längst widerlegte, weil völlig aus dem Zusammenhang gerissene Zitat von Gülen
über Militärangriffe gegen kurdische Terroristen mantrahaft wiederholt wird.
De
facto falsch ist auch die Behauptung, Gülen erhielte mit Cemalettin Kaplan, dem
einstigen „Kalifen von Köln“, gemeinsam Unterricht. Wer auch immer dem Autor
diesen Floh ins Ohr gesetzt hat; eine einfache Google-Recherche hätte gereicht,
um zu erfahren, dass dies nicht stimmen kann. Alleine schon der
Altersunterschied von 15 Jahren hätten ausreichen müssen, um den Verfasser
stutzig zu machen. Aber nein, Hauptsache die Namen Gülen und Kaplan tauchen in
einem Satz auf!
Wie groß die Aversion und das Misstrauen des Autors gegenüber
der Bewegung sind, zeigt sich bei seiner Beschreibung des Büros eines Dialogzentrums
in Berlin. Weil er im Bücherregal das „Tagebuch der Anne Frank“ entdeckt,
glaubt er zu wissen, dass dies nur ein Zeichen vorgetäuschter Trauer um die
Toten des Holocausts sei. Soweit ist man also schon gekommen in Deutschland,
dass sich Migranten von Einheimischen Heuchelei in Sachen Holocaust vorwerfen
lassen müssen, knapp 70 Jahre nach dem nationalsozialistischen Völkermord an
Millionen von Juden.
Neue Einblicke in die Gülen-Bewegung erhält man mit diesem
reißerischen Artikel mit Sicherheit nicht, wohl aber einen Einblick in die
verbohrte Innenwelt des Schreiberlings Maximilian Popp.
Sonntag, 29. Juli 2012
Die Gülen-Bewegung: Gottes fleißige Schüler
Die einen halten Anhängern der Gülen-Bewegung für ideale Muslime:
modern, tolerant, weltoffen. Andere sehen in der Gülen-Bewegung ein
weltweites Netzwerk, das die Gesellschaften islamisieren will. Ist das
Panikmache oder berechtigte Kritik? Was will die Gülen-Bewegung
wirklich? Ein Feature.
Ein Bericht des Deutschlandfunks, Jan Kuhlmann
»Fethullah Gülen ist ein muslimischer Gelehrter, ein muslimischer
Intellektueller, der sich für Frieden, für Bildung und für den Dialog
einsetzt, und das aus tiefer religiöser Überzeugung. Was für mich sehr
prägend und beispielhaft ist, ist sein Einsatz für den Frieden, für
soziale Gerechtigkeit und für einen konstruktiven Umgang miteinander.
Dass man Differenzen nicht zu Streitthemen macht, sondern in einem
Dialogprozess die Differenzen ausdiskutiert und eine gemeinsame Basis
findet, auf der man dann sozial gemeinsam handelt.«
Süleyman Bağ ist ein Journalist aus Berlin mit türkischen Wurzeln. Der gläubige Muslim zählt zur sogenannten Gülen-Bewegung, die der türkische Prediger Fethullah Gülen in den Achtzigerjahren gegründet hat. Millionen Muslime hat Gülen weltweit mit seinen Lehren inspiriert. Vor allem in der Türkei findet die Bewegung großen Zulauf, aber auch in Deutschland, den USA und der ehemaligen Sowjetunion wächst sie. Viele von Gülens Anhängern loben vor allem die modernen Ansichten des Predigers, der den Dialog zwischen den Kulturen fördern wolle. Sie sehen ihn als islamischen Reformdenker.
Ein Bericht des Deutschlandfunks, Jan Kuhlmann
Süleyman Bağ ist ein Journalist aus Berlin mit türkischen Wurzeln. Der gläubige Muslim zählt zur sogenannten Gülen-Bewegung, die der türkische Prediger Fethullah Gülen in den Achtzigerjahren gegründet hat. Millionen Muslime hat Gülen weltweit mit seinen Lehren inspiriert. Vor allem in der Türkei findet die Bewegung großen Zulauf, aber auch in Deutschland, den USA und der ehemaligen Sowjetunion wächst sie. Viele von Gülens Anhängern loben vor allem die modernen Ansichten des Predigers, der den Dialog zwischen den Kulturen fördern wolle. Sie sehen ihn als islamischen Reformdenker.
Donnerstag, 19. Juli 2012
Apppell vom Minister: Betriebe sollten auf fastende Beschäftigte Rücksicht nehmen
Am 20. Juli beginnt für Millionen von Muslimen in Deutschland der Fastanmonat Ramadan. Der Nordrhein-Westfälische Minister für Arbeit, Integration und Soziales, Guntram Schneider, appeliert an die Betriebe, dass sie in diesem Monat besonders Rücksicht auf die Bedürfnisse der Muslime nehmen sollten. Die Mitteilung aus dem Ministerium ist wie folgt:
Das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales teilt mit:
Arbeits- und Integrationsminister Guntram Schneider hat die Betriebe aufgerufen, während des islamischen Fastenmonats Ramadan Rücksicht auf muslimische Beschäftigte zu nehmen. „Die Fastenzeit ist für Muslime ein zentrales Element ihres Glaubens. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sollten ihren Beschäftigten die Möglichkeit geben, gefahrlos zu fasten und auch Raum für die rituellen Gebete schaffen“, sagte der Minister anlässlich der am Freitag beginnenden Fastenzeit.
Das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales teilt mit:
Arbeits- und Integrationsminister Guntram Schneider hat die Betriebe aufgerufen, während des islamischen Fastenmonats Ramadan Rücksicht auf muslimische Beschäftigte zu nehmen. „Die Fastenzeit ist für Muslime ein zentrales Element ihres Glaubens. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sollten ihren Beschäftigten die Möglichkeit geben, gefahrlos zu fasten und auch Raum für die rituellen Gebete schaffen“, sagte der Minister anlässlich der am Freitag beginnenden Fastenzeit.
Minister für für Arbeit, Integration und Sozialesin NRW: Guntram Schneide |
Dienstag, 17. Juli 2012
Beschneidung in Deutschland - Eine Komiker-Nation debattiert
Der Aufschrei nach dem Urteil eines Deutschen Gerichts, die Beschneidung künftig unter Strafe zu stellen, war riesig. Doch um was ganau geht es hier eigentlich?
Ein Kommentar von Jörg Lau, Die Zeit
Die Muslime hätte sie allerdings gerne einbeziehen können. Tut sie aber bezeichnender Weise nicht. Denn Ausgangspunkt der Debatte war ja der Fall eines vierjährigen Muslims. Dass die Oberstaatsanwältin, die den Fall in Köln vor Gericht brachte, auch gegen einen weißbärtigen Mohel vorgegangen wäre, kann ich mir nicht vorstellen. Noch fällt es schwer, sich auszumalen, dass wir demnächst wegen Körperverletzung einen Rabbiner in der Synagoge verhaften.
Nein, wohl eher nicht. Aber einem syrischstämmigen Arzt kann man eben schon mal die Instrumente zeigen. Es fällt in Deutschland einfach leichter, Muslime über ihr “Barbarentum” zu belehren als Juden. Jedenfalls noch.
Freitag, 29. Juni 2012
Im Reißwolf des Verfassungsschutzes
Versehen oder Vertuschung? Bei den Ermittlungen zur Neonazi-Mordserie ist dem Verfassungsschutz
eine gravierende Panne unterlaufen. Die Behörde vernichtete in dem
Zusammenhang Akten, nachdem das Trio aus Zwickau bereits mehrere Tage
aufgeflogen war.
Von Matthias Gebauer und Sven Röbel, Der Spiegel
Auch wenn er für seinen Apparat keine konkreten Fehler zugeben wollte, sei man dem Schutzauftrag für die Bevölkerung nicht nachgekommen. Wer den BKA-Chef ein bisschen kennt, weiß, wie schwer dem Karrierebeamten solche Eingeständnisse fallen. Gleichsam wusste der BKA-Chef, dass seine Aussage an diesem Tag wohl nur eine Randrolle spielen würde.
Denn am Mittwochabend hatte das Bundesinnenministerium zunächst ausgewählte Abgeordnete und das Kontrollgremium für die Geheimdienste informiert, dass kurz nach dem Auffliegen der Zelle Anfang November 2011 im Bundesamt für Verfassungsschutz einige Akten gelöscht worden waren. Diese seien möglicherweise für die weiteren Ermittlungen relevant gewesen.
Von Matthias Gebauer und Sven Röbel, Der Spiegel
Heinz Fromm und Jörg Ziercke (2011): Aktenvernichtung durch den Verfassungsschutz |
Ein Untersuchungsausschuss im Parlament soll Aufklärung bringen. Vor
ihm trat am Donnerstagmorgen der Chef des Bundeskriminalamts auf.
Es war ein bitterer Moment für Jörg Ziercke. Schon zu Beginn der Sitzung
musste er gravierende Fehler bei den Ermittlungen im Fall der Zwickauer Terrorzelle einräumen. "Wir haben versagt", sagte Deutschlands oberster Polizeiermittler für alle beteiligten Sicherheitsbehörden.
Auch wenn er für seinen Apparat keine konkreten Fehler zugeben wollte, sei man dem Schutzauftrag für die Bevölkerung nicht nachgekommen. Wer den BKA-Chef ein bisschen kennt, weiß, wie schwer dem Karrierebeamten solche Eingeständnisse fallen. Gleichsam wusste der BKA-Chef, dass seine Aussage an diesem Tag wohl nur eine Randrolle spielen würde.
Denn am Mittwochabend hatte das Bundesinnenministerium zunächst ausgewählte Abgeordnete und das Kontrollgremium für die Geheimdienste informiert, dass kurz nach dem Auffliegen der Zelle Anfang November 2011 im Bundesamt für Verfassungsschutz einige Akten gelöscht worden waren. Diese seien möglicherweise für die weiteren Ermittlungen relevant gewesen.
Mittwoch, 27. Juni 2012
Körperverletzung - Gericht stellt Beschneidung unter Strafe
Dieses Urteil wird insbesondere unter Juden und Muslimen hohe Wellen schlagen: Dem Landgericht Köln zufolge ist die aus religiöser Überzeugung durchgeführte Beschneidung von Jungen künftig als Körperverletzung zu werten.
von Matthias Ruch, FTD
Vor allem muslimische und jüdische Organisationen weisen die Forderungen nach einer Strafbarkeit der Beschneidung bislang entschieden zurück. Sie werten ein Verbot als "schweren Eingriff in das Recht auf freie Religionsausübung". Zum Kölner Urteil wollten sie sich am Montag auf Anfrage zunächst nicht äußern. Man wolle zunächst die Urteilsbegründung prüfen, hieß es.
Der Richterspruch dürfte für Diskussionen sorgen. Seit Jahren ringen Politik und Verbände um eine bessere Integration der muslimischen Bevölkerung. Wolfgang Schäuble berief dazu als Innenminister 2006 erstmals eine eigene Islamkonferenz ein. Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff sagte: "Der Islam gehört zu Deutschland." Sein Nachfolger Joachim Gauck variierte: "Die Muslime, die hier leben, gehören zu Deutschland." Einige Muslime dürften das Kölner Urteil nun als einen Rückschritt auffassen. Experten gehen davon aus, dass nun weitere Fälle andernorts vor Gericht landen werden. Abschließend könnte die Frage nach der Strafbarkeit religiös motivierter Beschneidungen dann wohl vom Bundesverfassungsgericht geregelt werden.
Im Kölner Fall hatte ein muslimischer Arzt an einem vierjährigen Jungen auf Wunsch der Eltern eine Beschneidung vorgenommen. Zwei Tage später kam es zu Nachblutungen, die Mutter brachte den Jungen in die Kindernotaufnahme. Die Staatsanwaltschaft erhielt Kenntnis davon und erhob Anklage gegen den Beschneider. Nachdem das Amtsgericht den Eingriff für rechtens befand, legte sie Berufung ein. Das Landgericht wertete ihn jetzt als "schwere und irreversible Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit".
von Matthias Ruch, FTD
Wer Jungen aus
religiösen Gründen beschneidet, macht sich wegen Körperverletzung
strafbar. Dies hat das Landgericht Köln in einem wegweisenden Urteil
entschieden. Weder das Elternrecht noch die im
Grundgesetz garantierte Religionsfreiheit können diesen Eingriff
rechtfertigen, stellte das Gericht in seiner Urteilsbegründung klar.
Bundespräsident Joachim Gauck: "Die Muslime, die hier leben, gehören zu Deutschland. |
Damit stellt erstmals ein deutsches Gericht
den religiösen Brauch unter Strafe. Jährlich werden in Deutschland
mehrere tausend Jungen in ihren ersten Lebensjahren auf Wunsch der
Eltern beschnitten. In den USA wird sogar die Mehrheit aller Jungen -
weitgehend unabhängig von der Religion - direkt nach Geburt beschnitten.
Auch dort formiert sich nun aber massiver Widerstand gegen diese
Praxis. Weltweit sind rund ein Viertel aller Männer beschnitten.
Über Jahrzehnte hatten Ärzte in Deutschland in einer juristischen Grauzone agiert, wenn sie Jungen aus rein religiösen Gründen beschnitten, ohne dass es eine medizinische Notwendigkeit gab. Bislang konnten sie sich jedoch darauf berufen, keine Kenntnis von der Strafbarkeit religiöser Beschneidungen gehabt zu haben. Selbst wenn ein Gericht den Einzelfall später als Körperverletzung anerkannte, musste der Arzt wegen des so genannten Verbotsirrtums freigesprochen werden. Mit dem Kölner Urteil fällt diese Möglichkeit nun weg.
"Das Urteil ist vor allem für Ärzte enorm wichtig, weil diese jetzt zum ersten Mal Rechtssicherheit haben", sagte Holm Putzke von der Universität Passau. Der Strafrechtler fordert seit Jahren ein ausdrückliches Verbot der religiösen Beschneidung. "Das Gericht hat sich - anders als viele Politiker - nicht von der Sorge abschrecken lassen, als antisemitisch und religionsfeindlich kritisiert zu werden", lobte Putzke. "Diese Entscheidung könnte nicht nur die zukünftige Rechtsprechung prägen, sondern im besten Fall auch bei den betroffenen Religionen zu einem Bewusstseinswandel führen, Grundrechte von Kindern zu respektieren."
Über Jahrzehnte hatten Ärzte in Deutschland in einer juristischen Grauzone agiert, wenn sie Jungen aus rein religiösen Gründen beschnitten, ohne dass es eine medizinische Notwendigkeit gab. Bislang konnten sie sich jedoch darauf berufen, keine Kenntnis von der Strafbarkeit religiöser Beschneidungen gehabt zu haben. Selbst wenn ein Gericht den Einzelfall später als Körperverletzung anerkannte, musste der Arzt wegen des so genannten Verbotsirrtums freigesprochen werden. Mit dem Kölner Urteil fällt diese Möglichkeit nun weg.
"Das Urteil ist vor allem für Ärzte enorm wichtig, weil diese jetzt zum ersten Mal Rechtssicherheit haben", sagte Holm Putzke von der Universität Passau. Der Strafrechtler fordert seit Jahren ein ausdrückliches Verbot der religiösen Beschneidung. "Das Gericht hat sich - anders als viele Politiker - nicht von der Sorge abschrecken lassen, als antisemitisch und religionsfeindlich kritisiert zu werden", lobte Putzke. "Diese Entscheidung könnte nicht nur die zukünftige Rechtsprechung prägen, sondern im besten Fall auch bei den betroffenen Religionen zu einem Bewusstseinswandel führen, Grundrechte von Kindern zu respektieren."
Vor allem muslimische und jüdische Organisationen weisen die Forderungen nach einer Strafbarkeit der Beschneidung bislang entschieden zurück. Sie werten ein Verbot als "schweren Eingriff in das Recht auf freie Religionsausübung". Zum Kölner Urteil wollten sie sich am Montag auf Anfrage zunächst nicht äußern. Man wolle zunächst die Urteilsbegründung prüfen, hieß es.
Der Richterspruch dürfte für Diskussionen sorgen. Seit Jahren ringen Politik und Verbände um eine bessere Integration der muslimischen Bevölkerung. Wolfgang Schäuble berief dazu als Innenminister 2006 erstmals eine eigene Islamkonferenz ein. Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff sagte: "Der Islam gehört zu Deutschland." Sein Nachfolger Joachim Gauck variierte: "Die Muslime, die hier leben, gehören zu Deutschland." Einige Muslime dürften das Kölner Urteil nun als einen Rückschritt auffassen. Experten gehen davon aus, dass nun weitere Fälle andernorts vor Gericht landen werden. Abschließend könnte die Frage nach der Strafbarkeit religiös motivierter Beschneidungen dann wohl vom Bundesverfassungsgericht geregelt werden.
Im Kölner Fall hatte ein muslimischer Arzt an einem vierjährigen Jungen auf Wunsch der Eltern eine Beschneidung vorgenommen. Zwei Tage später kam es zu Nachblutungen, die Mutter brachte den Jungen in die Kindernotaufnahme. Die Staatsanwaltschaft erhielt Kenntnis davon und erhob Anklage gegen den Beschneider. Nachdem das Amtsgericht den Eingriff für rechtens befand, legte sie Berufung ein. Das Landgericht wertete ihn jetzt als "schwere und irreversible Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit".
Freitag, 22. Juni 2012
Hetze gegen Özil - Innenminister Friedrich erbost
Die Internet-Anfeindungen gegen den türkischstämmigen deutschen
Nationalspieler Mesut Özil haben Innenminister Friedrich auf den Plan gerufen.
Er fordert Solidarität mit all unseren Spielern.
In einem Gespräch mit der NOZ kritisierte Friedrich: „Der Fall Özil zeigt nur die Spitze des Eisbergs.“ Die Verwahrlosung der Umgangsformen im Internet sei „erschreckend“. Skeptisch äußerte er sich über die Chance, Twitter-Täter zu stellen. „Es gibt grundsätzlich Möglichkeiten, da die Täter im Netz Spuren hinterlassen. In vielen Fällen ist die Fahndung aber mangels Vorratsdatenspeicherung derzeit nicht Erfolg versprechend“, sagte der Minister.
Scharf kritisierte Friedrich auch kroatische Fans, die bei der EM erneut
mit rassistischen Gesängen, Affengebrüll und Bananenattacken gegen
farbige Spieler auffielen. „Diese Typen muss man isolieren und ihre
hirnlosen Aktionen entlarven“, sagte er. „Rassismus darf in unserer
Gesellschaft keinen Platz haben. Wir alle müssen uns diesen Auswüchsen
mit aller Kraft entgegenstellen“, sagte der Innenminister. Als beschämend bezeichnete Friedrich auch „Sieg, Sieg“-Rufe deutscher
Zuschauer ausgerechnet in der im Zweiten Weltkrieg von Deutschen
besetzten Ukraine. Auch dass einige wenige sogenannte Fans die verbotene
Reichskriegsflagge gezeigt hätten, mache ihn wütend. „Als deutscher
Patriot schäme ich mich, wie diese Leute unser Ansehen in Europa und der
Welt versuchen zu beschädigen“, betonte der Innenminister. Die
überwältigende Mehrheit der Fußballfans habe damit nichts zu tun. Es
dürfe nicht sein, dass diese verschwindend kleine Minderheit das Bild
bestimme und Deutschlands Ansehen schade.
Ein Bericht aus der Neuen Osnabrücker Zeitung
© AFP |
In einem Gespräch mit der NOZ kritisierte Friedrich: „Der Fall Özil zeigt nur die Spitze des Eisbergs.“ Die Verwahrlosung der Umgangsformen im Internet sei „erschreckend“. Skeptisch äußerte er sich über die Chance, Twitter-Täter zu stellen. „Es gibt grundsätzlich Möglichkeiten, da die Täter im Netz Spuren hinterlassen. In vielen Fällen ist die Fahndung aber mangels Vorratsdatenspeicherung derzeit nicht Erfolg versprechend“, sagte der Minister.
Mittwoch, 20. Juni 2012
Der rassistische Turnschuh
Vom Style-Objekt zum Sklaven-Schuh: Adidas hat in den USA einen
Skandal ausgelöst – wegen eines neuen Modells, das an die Unterdrückung
der Schwarzen erinnert. Der Konzern entschuldigte sich und zog eilig
Konsequenzen.
Ein Bericht aus dem Handelsblatt
Außerhalb Amerikas würden sich Menschen wohl vor allem folgende Frage
stellen: Warum in aller Welt braucht ein Turnschuh eine Kette, mit der
man ihn am Schienbein festbinden muss? Fliegt er sonst weg?
Geschichtsbewusste Amerikaner stellen sich dagegen eine viel größere und
ernstere Frage: Kann ein Turnschuh rassistisch sein?
Ein Bericht aus dem Handelsblatt
Der umstrittene Adidas-Sneaker, Modell "JS Roundhouse Mid" |
Sonntag, 3. Juni 2012
Benotung von ausländischen Schülern fair
Studien legen immer wieder einen Verdacht nahe:
Migrantenkindern wird, ähnlich wie Schülern aus Arbeiterfamilien,
weniger zugetraut, eine geringere Begabung und weniger Lerneifer
unterstellt. Doch das Gegenteil ist wohl der Fall.
Von Roland Preuß, SZ
Migranten im deutschen Schulsystem, das ist ein Reizthema. Jugendliche mit ausländischen Wurzeln brechen häufiger die Schule ab, haben schlechtere Noten, und die Kinder schaffen es seltener auf das Gymnasium - das haben frühere Studien belegt.
Sie legten auch einen Verdacht nahe: Migranten-Kindern würde - ähnlich wie Schülern aus Arbeiterfamilien - weniger zugetraut, etwa eine geringere Begabung oder weniger Lerneifer unterstellt. Eine Untersuchung des renommierten Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) kommt nun zu einem anderen Ergebnis: Migranten-Kinder erhalten zwar seltener eine Empfehlung fürs Gymnasium, dies lasse sich jedoch nicht mit einer Diskriminierung wegen ihrer Herkunft erklären, schreibt die WZB-Bildungsforscherin Cornelia Gresch.
Bei gleicher Leistung und sozialer Herkunft hielten sie Lehrer mindestens genauso oft für gymnasialtauglich wie Kinder aus einheimischen Familien. Anders herum formuliert: Wenn sie nicht für das Gymnasium empfohlen werden, liegt das an schlechteren Leistungen oder aber an ihrer Herkunft aus ärmeren Familien, etwa Arbeiter-Haushalten. Diesen Kindern trauen Pädagogen häufig weniger zu als dem Akademiker-Nachwuchs, doch trifft dies heimische Kinder genauso wie zugewanderte.
Gresch hat für ihre Dissertation Übergangsempfehlungen untersucht sowie Daten aus der Schulstudie Timss von 2007 herangezogen. Darin waren Viertklässler, Eltern und Lehrer befragt worden, zudem mussten die Kinder einheitliche Tests absolvieren. So ließ sich ihre Leistung unabhängig von der Beurteilung durch ihre Lehrer feststellen.
Gresch vermutet, dass manche Lehrkräfte im Fach Deutsch die schwierigere Ausgangslage der Schüler aus Zuwandererfamilien berücksichtigen - und daher eine Empfehlung weniger von Noten abhängig machen. Das rückt Lehrer in ein gutes Licht: sie benachteiligen Migranten-Kinder demnach nicht, sie gleichen deren Nachteile sogar etwas aus.
Insgesamt gesehen empfehlen die Pädagogen Zuwanderer-Kinder dennoch deutlich seltener für das Gymnasium als die übrigen Schüler. Je nachdem, wie lange die Familie schon im Land ist, sind es zwischen 19 und 32 Prozent; bei heimischen Schülern ist es fast jeder zweite.
Von Roland Preuß, SZ
Migranten im deutschen Schulsystem, das ist ein Reizthema. Jugendliche mit ausländischen Wurzeln brechen häufiger die Schule ab, haben schlechtere Noten, und die Kinder schaffen es seltener auf das Gymnasium - das haben frühere Studien belegt.
Sie legten auch einen Verdacht nahe: Migranten-Kindern würde - ähnlich wie Schülern aus Arbeiterfamilien - weniger zugetraut, etwa eine geringere Begabung oder weniger Lerneifer unterstellt. Eine Untersuchung des renommierten Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) kommt nun zu einem anderen Ergebnis: Migranten-Kinder erhalten zwar seltener eine Empfehlung fürs Gymnasium, dies lasse sich jedoch nicht mit einer Diskriminierung wegen ihrer Herkunft erklären, schreibt die WZB-Bildungsforscherin Cornelia Gresch.
Bei gleicher Leistung und sozialer Herkunft hielten sie Lehrer mindestens genauso oft für gymnasialtauglich wie Kinder aus einheimischen Familien. Anders herum formuliert: Wenn sie nicht für das Gymnasium empfohlen werden, liegt das an schlechteren Leistungen oder aber an ihrer Herkunft aus ärmeren Familien, etwa Arbeiter-Haushalten. Diesen Kindern trauen Pädagogen häufig weniger zu als dem Akademiker-Nachwuchs, doch trifft dies heimische Kinder genauso wie zugewanderte.
Gresch hat für ihre Dissertation Übergangsempfehlungen untersucht sowie Daten aus der Schulstudie Timss von 2007 herangezogen. Darin waren Viertklässler, Eltern und Lehrer befragt worden, zudem mussten die Kinder einheitliche Tests absolvieren. So ließ sich ihre Leistung unabhängig von der Beurteilung durch ihre Lehrer feststellen.
Gresch vermutet, dass manche Lehrkräfte im Fach Deutsch die schwierigere Ausgangslage der Schüler aus Zuwandererfamilien berücksichtigen - und daher eine Empfehlung weniger von Noten abhängig machen. Das rückt Lehrer in ein gutes Licht: sie benachteiligen Migranten-Kinder demnach nicht, sie gleichen deren Nachteile sogar etwas aus.
Insgesamt gesehen empfehlen die Pädagogen Zuwanderer-Kinder dennoch deutlich seltener für das Gymnasium als die übrigen Schüler. Je nachdem, wie lange die Familie schon im Land ist, sind es zwischen 19 und 32 Prozent; bei heimischen Schülern ist es fast jeder zweite.
Montag, 21. Mai 2012
Wie Ayaan Hirsi Ali Breiviks Massenmord erklärt
Skandal beim Springer-Ehrenpreis: Die niederländische Publizistin und Politikerin Ayaan Hirsi Ali erhielt vom Springer-Verlag einen Ehrenpreis. Im
Dankesvortrag sprach sie über „Anwälte des Schweigens“, eine „informelle
Zensur“ und machte sich die Argumentation des norwegischen
Massenmörders Breivik zu eigen. Ein Skandal, der weitestgehend unbemerkt blieb.
von Stefan Buchen (Cicero)
Anlässlich des 100. Geburtstages des Verlagsgründers vergab die Jury des Axel-Springer-Preises für junge Journalisten einen Ehrenpreis an die aus Somalia stammende islamkritische Publizistin und Politikerin Ayaan Hirsi Ali. Friede Springer, die Witwe Axel Springers, spendierte der Geehrten ein Preisgeld von 25.000 Euro.
Ayaan Hirsi Ali sorgt bei der Springer-Preisverleihung für einen handfesten Skandal |
Man habe eine Haltung auszeichnen wollen, die von Mut geprägt sei, begründete Jury-Mitglied Marc Thomas Spahl die Entscheidung. Laudator Leon de Winter hob Hirsi Alis unerschrockenen Einsatz für die Freiheit und ihr Verdienst hervor, ohne Unterlass vor der islamischen Bedrohung zu warnen. Hirsi Ali wurde als eine Frau auf den Schild gehoben, die für die Werte des Westens und gegen den gewalttätigen intoleranten Islam einsteht.
Samstag, 21. April 2012
Muslim-Studie ging doch vorab an Bild-Zeitung
Eine Studie über, die von der Bild-Zeitung vor Veröffentlichung falsch widergegeben wurde, sorgt in Berlin für Wirbel. Wurde die Studie zu angeblich integrationsunwilligen jungen
Muslimen vorab an die Bild-Zeitung weitergegeben? Nein, sagte
Innenminister Friedrich im Fernsehen. Nein, sagte sein Staatssekretär im
Bundestag. Ja, muss das Ministerium nun auf eine Anfrage der Linken
zugeben. Die Opposition spricht schon vom "Lügenminister".
Ein Bereich von Roland Preuß, SZ
Sein Ministerium gab eine Studie zu jungen Muslimen vorab an die Boulevard-Presse: Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich bei der Islamkonferenz 2012. (© dapd) |
Autoren der Studie distanzierten sich und sprachen von Verzerrung. Die Islamwissenschaftlerin Armina Omerika nahm Innenminister Hans-Peter Friedrichs Umgang mit der Studie zum Anlass, am Mittwoch ihren Austritt aus der Islam-Konferenz zu erklären. Schnell kam der Verdacht auf, Friedrich habe die Studie lancieren lassen, doch er dementierte. "Also, diese Studie ist nicht aus meinem Haus herausgegeben worden", sagte er im ZDF. Später sagte Innenstaatssekretär Christoph Bergner im Bundestag: "Es hat keine öffentliche oder wie auch immer geartete Übergabe dieser Studie durch das Bundesinnenministerium an die Medien gegeben."
Studie angeblich nötig zur Vorbereitung eines Interviews
Nun musste das Bundesinnenministerium in einer Antwort auf die Anfrage einräumen, dass dies eine Falschauskunft an die Abgeordneten war - kurz vor Beginn des diesjährigen Treffens der Deutschen Islamkonferenz am Donnerstag. In der Antwort schreibt das Ministerium, dass die Bild-Zeitung von der Pressestelle doch ein Vorabexemplar der Studie erhielt, angeblich zur Vorbereitung eines Interviews mit dem Minister.
Vorabexemplare werden vor der offiziellen Veröffentlichung verschickt. Weil das Ministerium die Studie am 1. März online stellte, muss es die Bild-Zeitung also früher erhalten haben. Bild.de hatte einen Tag zuvor, am 29. Februar, berichtet. Nach Darstellung des Ministerium wusste Friedrich davon nichts.
Die Initiatorin der Anfrage, Sevim Dagdelen (Linke), kritisierte Friedrich scharf und bezeichnete ihn als "Lügenminister". Er und Staatssekretär Bergner hätten den Bundestag getäuscht. Der Innenminister müsse sich bei den Studienautoren entschuldigen und gegenüber dem Parlament "dringend erklären".
Mittwoch, 18. April 2012
Inkognito zum neuen Job
Frau in gebärfähigem Alter, vielleicht gar mit ausländischem
Namen? Die Qualifikationen können noch so gut sein, die Chancen stehen
bei Bewerbungen trotzdem schlecht. Anonyme Bewerbungen, in einigen Ländern längst schon Alltag, können Abhilfe
schaffen, wie ein Großversuch von fünf Unternehmen bewiesen hat.
Von Roland Preuß, SZ
Es geht zum Beispiel um Frauen um die 30, mit Spitzenzeugnissen und sechs Jahren Berufserfahrung. Eigentlich eine großartige Grundlage für einen guten Job - oder gar eine Führungsposition. Doch bei der Bewerbung blickt der Chef auf das Geburtsdatum, zieht die Augenbraue hoch und lässt einen Verdacht keimen: Die Dame könnte bald schwanger werden. Kann sie als Mutter noch am Wochenende durcharbeiten, wenn ein Termin drängt? Muss er bald nach einem Ersatz suchen, wenn sie in Elternzeit geht?
Ein Pilotprojekt zeigt nun auf, wie mehr Chancengleichheit in die Personalabteilungen einziehen kann. Eineinhalb Jahre lang haben fünf Unternehmen und drei öffentliche Arbeitgeber anonymisierte Bewerbungen getestet, unter ihnen die Deutsche Post, L'Oréal und das Bundesfamilienministerium. An diesem Dienstag stellt die Antidiskriminierungsstelle des Bundes in Berlin die Ergebnisse vor. In dem Bericht, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt, kommen die Autoren vom Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) und der Viadrina-Universität Frankfurt an der Oder zu dem Schluss, dass anonyme Bewerbungen denen, die sonst unter Pauschalurteilen leiden, zugutekommen.
Montag, 2. April 2012
Kraftprotz am Bosporus: Türkischer Wirtschaftsboom kennt keine Grenzen
Mit neiderregenden Wirtschaftsdaten und einer selbstbewussten
Außenpolitik macht die Türkei von sich reden. Ankara schafft in der
Region ein eigenes Machtzentrum. Und bis zum symbolisch wichtigen Jahr
2023 will die Türkei auch in der Welt zu den wichtigsten Nationen
gehören. Ganz ohne die EU wird das allerdings wohl nicht gehen.
Ein Bericht von Johannes Graf, N-TV
Ende des 19. Jahrhunderts liegt das Osmanische Reich am Boden. Der
Staat ist bankrott, immer mehr Völker in dem Riesenreich wagen den
Schritt in die Unabhängigkeit, weltpolitisch schenkt dem einst als
europäische Großmacht angesehenen Land kaum jemand mehr Beachtung. Zar
Nikolaus I. bringt es mit dem vielzitierten Ausdruck "Der kranke Mann am
Bosporus" auf den Punkt.
Heute, über 100 Jahre später, strotzt der Ex-Patient nur so vor Kraft. In der Aufzählung der Schwellenländer, die in den kommenden Jahren und Jahrzehnten aufholen und Teile der Industrienationen überholen werden, fehlt, neben China, Südafrika und Brasilien, niemals die Türkei. Die wirtschaftliche Entwicklung, die der Nachfolgestaat des Osmanischen Reichs hinlegt, ist rasant.
Ein Bericht von Johannes Graf, N-TV
Heute, über 100 Jahre später, strotzt der Ex-Patient nur so vor Kraft. In der Aufzählung der Schwellenländer, die in den kommenden Jahren und Jahrzehnten aufholen und Teile der Industrienationen überholen werden, fehlt, neben China, Südafrika und Brasilien, niemals die Türkei. Die wirtschaftliche Entwicklung, die der Nachfolgestaat des Osmanischen Reichs hinlegt, ist rasant.
Freitag, 30. März 2012
Kiezdeutsch rockt, ischwör!
Sprachbewahrer
kämpfen verbissen gegen Kiezdeutsch. Der Schulhof-Slang verhunzt unsere
Sprache, meinen sie. Alles Quatsch, sagt die Sprachforscherin Heike Wiese. Denn sie meint, Kiezdeutsch sei genauso ein Dialekt wie Bayerisch und Schwäbisch.
Ein Beitrag aus "Der Spiegel"
Kritische Jungs: Jugendliche unterschiedlicher Herkunft sprechen Kiezdeutsch |
"Ein eigenartiges nicht Duden-kompatibles Gossen-Stakkato", stand schon
in der Zeitung. Und: "Der Wortschatz dieser Straßensprache gleicht
einer Notration." Kiezdeutsch gilt oft als falsches, reduziertes
Deutsch ohne Grammatik. Dabei ist Kiezdeutsch ein neuer, komplexer
Dialekt, der fest im System der deutschen Grammatik verankert ist. Kiezdeutsch
weist - wie alle Dialekte - eine Reihe von Besonderheiten auf.
Allerdings handelt es sich nicht um sprachliche Fehler, sondern um
systematische Neuerungen in Grammatik, Wortschatz und Aussprache.
So wird aus "ich" beispielsweise "isch", was ähnlich im Rheinland vorkommt und im Berliner "nüscht". Wir finden neue Funktionswörter wie "lassma" und "musstu" ("lass uns mal" und "musst du") und Zusammenziehungen wie "ischwör" ("ich schwöre"), mit dem eine Aussage bekräftigt wird - ganz ähnlich, wie umgangssprachlich die Zusammenziehung "glaubich" ("glaube ich") eine Aussage abschwächt. Das Wort "so" wird nicht nur zum Vergleich verwendet, sondern auch zur Betonung ("Ich höre Alpa Gun, weil er so aus Schöneberg kommt."), so entsteht ein neues Funktionswort, das wir übrigens auch außerhalb von Kiezdeutsch finden. Das ist nicht schlampig formuliert, sondern hat System.
Dienstag, 27. März 2012
Türkisch für Anfänger - Eine etwas andere Olympiade
Ein hessischer Schüler rührt in Ankara ein
Millionenpublikum mit einem Gedicht – in einer Sprache, die er nicht
versteht. Hinter der Türkischolympiade steckt eine muslimische
Massenbewegung - die von Fethullah Gülen inspirierte "Hizmet-Bewegung".
Von Martin Spiewak, die Zeit
Von Martin Spiewak, die Zeit
Nico Weber bei der Türkischolympiade |
Ein hessischer Junge, der auf Türkisch Verse vorträgt, obwohl er die Sprache nicht spricht. Ein modernes Megaevent, das jedes Jahr in der Türkei Millionen Zuschauer mit traditionellen Gedichten und Volksliedern begeistert. Ein weltweites muslimisches Bildungsnetzwerk, das offiziell weder einen Namen noch eine Adresse besitzt: Es ist eine eigenartige Geschichte, die Nico Weber, einen Realschüler aus Deutschland, auf eine Bühne in die Türkei verschlagen hat. Ihm selbst kommt sie bis heute vor wie ein orientalisches Märchen.
Diese Geschichte spielt in Gießen und Stuttgart, in Ankara und ein bisschen auch im amerikanischen Pennsylvania. Hier lebt ein Korangelehrter namens Fethullah Gülen, der in seinen Schriften ein islamisches Gutmenschentum predigt – und die größte muslimische Bildungsbewegung der Welt begründet hat. Dazu gehört auch die »Internationale Türkischolympiade«, bei der Nico gegen Jugendliche aus der ganzen Welt antritt. Sie alle kämpfen um den Titel des besten Interpreten türkischen Kulturguts.
Samstag, 10. März 2012
Muslim-Studien: Wissenschaftler sollten gewarnt sein
Es ist immer wieder dasselbe: Kaum erscheint eine Studie über Muslime oder Integration, wird auch schon über deren Deutung geschtritten. Die Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus
über den Missbrauch von „Muslim-Studien“ durch die Politik.
Interview: Daniel Bax (TAZ)
Die meisten Studien legen einen starken Fokus auf Radikalisierung, Sicherheit und Integration. Bild: Reuters |
taz: Frau Spielhaus, eine Studie über
Muslime hat jüngst für Wirbel gesorgt: Innenminister Hans-Peter
Friedrich nutzte sie in der Bild-Zeitung, die sie zunächst exklusiv
hatte, um vor radikalen Muslimen zu warnen. Später stellte sich heraus,
dass die Zahlen, auf die er sich berief, gar nicht repräsentativ waren.
Hat Sie dieser schlampige Umgang mit wissenschaftlichen Daten
überrascht?
Riem Spielhaus: Nein. Die
Ministerien suchen mit solchen Studien gerne die Aufmerksamkeit der
Medien und der Öffentlichkeit, um ihre Politik zuz legitimieren. Deshalb
muss man als Wissenschaftler darauf achten, in welchen politischen
Kontext man seine Arbeit stellt.
Die Autoren der Studie, die im
Auftrag des Innenministeriums erstellt wurde, sind jetzt entrüstet und
verzweifelt darüber, wie sehr die Ergebnisse verzerrt wurden. Waren Sie
naiv?
Ja, denn wenn wir zurück blicken, gab es
vergleichbare Fälle. So war es schon mit einer Studie über „Muslime in
Deutschland“, die der damalige Innenminister Schäuble 2007 präsentierte.
Oder im letzten Jahr mit einer Studie über Zwangsheiraten, die
Familienministerin Schröder in Auftrag gab. Der wissenschaftliche Beirat
sah sich damals genötigt, in einem offenen Brief die verzerrte
Interpretation der Ministerin richtig zu stellen.
Sollte man als Wissenschaftler besser keine Aufträge von solchen Ministern annehmen?
Es stellt die Wissenschaftler jedenfalls
vor ein Dilemma, denn man möchte man natürlich Einfluss haben, auch auf
politische Entscheidungen. Andererseits werden solche Studien von
Institutionen beauftragt und finanziert, die bestimmte politische
Interessen haben. Da stellt sich die Frage, wie unabhängig eine solche
Forschung überhaupt sein kann.
Was halten Sie denn von der Studie, um die es jetzt geht?
Als großes Manko scheint mir, dass hier -
wie in vielen anderen Studien - Muslime und Migranten gleichgesetzt und
wie Synonyme behandelt werden. Die Unterschiede werden kaum reflektiert.
Diese Unschärfe zeigt sich etwa dann, wenn die befragten Muslime nach
ihren Kontakten „zu Deutschen“ und „zu Muslimen“ befragt werden - was ja
nahelegt, dass Muslime selbst keine Deutschen sein können.
Sonntag, 19. Februar 2012
Nach Wulffs Rücktritt: Was Merkel den NSU-Opfern sagen muss
Nach dem Rücktritt von Bundespräsident Wulff wird nun Angela Merkel die geplante Rede bei der Trauerfeier für die Opfer der NSU-Mordserie halten. Eine Chance für Merkel, das Vertrauen der Türkischen Community zurück zu gewinnen.
Ein Kommentar von Jörg Lau, Die Zeit
Christian Wulff, der am Freitag zurückgetreten ist, hatte sich das Thema des inneren Zusammenhalts der Einwanderungsgesellschaft als Schwerpunkt ausgesucht. Er hatte mit seinem Satz über den Islam etwas Richtiges getroffen. Auch die Reaktion seiner Gegner, teilweise aus der eigenen Partei, ja aus dem Kabinett (Friedrich) hat das bewiesen. Dass er nun erkannt hat (wenn auch erst durch die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens!), dass er nicht mehr der Richtige ist für den Job des Präsidenten und für diese Mission, ist zu begrüßen. Es ging einfach nicht mehr.
In seinem Statement sagte er:
Ein Kommentar von Jörg Lau, Die Zeit
Christian Wulff, der am Freitag zurückgetreten ist, hatte sich das Thema des inneren Zusammenhalts der Einwanderungsgesellschaft als Schwerpunkt ausgesucht. Er hatte mit seinem Satz über den Islam etwas Richtiges getroffen. Auch die Reaktion seiner Gegner, teilweise aus der eigenen Partei, ja aus dem Kabinett (Friedrich) hat das bewiesen. Dass er nun erkannt hat (wenn auch erst durch die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens!), dass er nicht mehr der Richtige ist für den Job des Präsidenten und für diese Mission, ist zu begrüßen. Es ging einfach nicht mehr.
In seinem Statement sagte er:
Es war mir ein Herzensanliegen, den Zusammenhalt unserer Gesellschaft zu stärken. Alle sollen sich zugehörig fühlen, die hier bei uns in Deutschland leben, eine Ausbildung machen, studieren und arbeiten, ganz gleich, welche Wurzeln sie haben. Wir gestalten unsere Zukunft gemeinsam. Ich bin davon überzeugt, dass Deutschland seine wirtschaftliche und gesellschaftliche Kraft am besten entfalten und einen guten Beitrag zur europäischen Einigung leisten kann, wenn die Integration auch nach innen gelingt.Wulff hätte gerne am kommenden Donnerstag die Trauerfeier für die Opfer der NSU-Mordserie geleitet. Nun wird die Bundeskanzlerin seine Aufgabe übernehmen und dort sprechen. Einfach wird das nicht. Aber es ist gut, dass die Kanzlerin selber in die Lücke geht und ein Zeichen setzt. Es wird nämlich unterschätzt, wie erschüttert viele türkische Deutsche von dieser Mordserie, vom Versagen der Behörden und der Medien (“Dönermorde”) bis heute sind. Schon die letzten Jahre einer zunehmend als Demütigung und Kujonierung empfundenen “Integrationsdebatte” haben viel Schaden angerichtet. Der Erfolg des Buchs von Thilo Sarrazin wurde als eine Abstimmung gegen Türken an der Ladenkasse empfunden. Mehrere türkische Bekannte haben mir erzählt, dass sie in Folge dieser Debatte Freunde verloren haben. Es wurde nicht verstanden, dass sie Sarrazins Buch und seine Interventionen – von den “Kopftuchmädchen” über die “Gemüsehändler” bis zu den “belgischen Ackergäulen” als persönliche, ehrabschneidende Angriffe empfanden. Und dass die breite Zustimmung der Bevölkerung die Sache erst recht schlimm machte.
Freitag, 17. Februar 2012
Brandanschlag auf türkische Tageszeitung "Zaman"
In Köln wurde die Redaktion der türkischsprachigen Zeitung und ein türkisches Lokal angegriffen. Nach ersten Ermittlungen vermutet die Polizei einen politischen Hintergrund.
Ein Bericht aus der "Stern"
Auf die Räume der Redaktion von "Zaman" wurde ein Brandanschlag verübt© Frank Fuchs/DPA |
Auf die Kölner Redaktionsräume der türkischsprachigen Tageszeitung "Zaman" ist ein Brandanschlag verübt worden. Die Polizei nahm am Donnerstag zwei Verdächtige fest, die am späten Mittwochabend einen Molotowcocktail ins Erdgeschoss der Redaktion geworfen haben sollen. Die Ermittler vermuten nach Angaben einer Kölner Polizeisprecherin, dass die 17 und 22 Jahre alten mutmaßlichen Täter politisch motiviert gehandelt haben.
Sonntag, 12. Februar 2012
„Döner-Aise”: Rassismus oder Narrenfreiheit?
Ein Bericht aus den Deutsch-Türkischen Nachrichten
Humor sei, wenn man trotzdem lacht, doch bei dieser in der ARD ausgestrahlten Büttenrede einer türkischen „Aise“ sei ihm das Lachen im Halse stecken geblieben, so Corrado di Benedetto, Vorsitzender des Landesausländerbeirats in Hessen. „Die karnavalistische Freiheit ist ein hohes Gut. Und: Satire darf alles, nur nicht herabsetzend sein. Hier wurden alle Regeln des Anstandes verletzt“, sagt er in der Presseerklärung der agah (Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte Hessen-Landesausländerbeirat).
Die in der ARD ausgestrahlte Sendung sorgt zurzeit für großen Aufruhr. Eine kopftuchtragende Frau, die in schlecht immitiertem türkischen Akzent spricht, stellt einen fiktiven Sender “Döner-TV” mit Sendungen wie “Germanys next Burka-Topmodel vor”.
Büttenrede überschreitet Grenze der "Narrenfreiheit"
Der Ausländerbeirat des Bundeslandes Hessen wirft dem Hessischen Rundfunk, der die Sendung zu verantworten hat, Rassismus vor und erwartet eine Entschuldigung. Unter der Überschrift „Rassismus zur besten Sendezeit“ hat die agah nun eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der sie gegen die „Verunglimpfung von Türken in der ARD-Sendung „Frankfurt: Helau“- Inthronisation des Prinzenpaaes“ protestiert.
Abonnieren
Posts (Atom)