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Montag, 23. Dezember 2013

Volksprediger Fethullah Gülen: Der mächtige Widersacher Erdoğans

Etwas ist Faul im Staate Türkei. Denn es rumort mal wieder am Bosporus, und zwar gewaltig. Der so genannte Machtkampf zwischen der Regierung Erdogan und der Hizmet-Bewegung um Fethullah Gülen mag für viele völlig überraschend sein, war der Hizmet-Bewegung doch jahrelang vorgeworfen, sich uneingeschränkt und vorbehaltslos hinter dem Premier zu stellen. Warum jetzt plötzlich die Aufregung? Antworten dazu sucht Tim Neshitov von der SZ.
File photo of Islamic preacher Fethullah Gulen at his residence in Saylorsburg, Pennsylvania
Fethullah Gülen (Foto: Reuters)
Er lebt im Exil in Pennsylvania, hat mehr als 60 Bücher geschrieben und steht im Verdacht, der "glorreichen osmanischen Vergangenheit" hinterherzutrauern. Dennoch hat Fethullah Gülen Millionen Anhänger. Diese könnten dem türkischen Ministerpräsidenten Erdoğan im aktuellen Machtkampf das Leben schwer machen. Von Tim Neshitov
 
In der Türkei tobt wieder ein Machtkampf, und viele Kommentatoren sind sich einig, dass es diesmal Anhänger des charismatischen Predigers Fethullah Gülen sind, die dem Premier Recep T. Erdoğan das Leben schwer machen. Gülen hat über seinen Anwalt die Spekulationen zurückgewiesen, er stecke hinter den Razzien gegen Erdoğan-Vertraute. Aber allein die Tatsache, dass dem Kleriker dies zugetraut wird, zeugt von seinem kolossalen Einfluss. Womit aber mobilisiert Gülen seine Anhänger, zu denen Unternehmer und Lehrer zählen, Ärzte und Studenten, Popstars, Autoren, Busfahrer, Fußballprofis?

Donnerstag, 22. August 2013

Studie: Menschenfeindlichkeit in München weit verbreitet

München gibt sich gerne tolerant und weltoffen. Doch wie sieht es in der Realität aus? Forscher des Institutes für Soziologie der LMU sind in Zusammenarbeit mit der Fachstelle gegen Rechtsextremismus der Frage nachgegangen, wie weltoffen Münchner wirklich sind, indem sie sie zu Ihren Vorurteilen gegenüber gestimmten Gruppen befragt haben. Das Ergebnis ist Besorgnis erregend. Mitarbeiter Christian Ganser erklärt vorab die Ergebnisse. 
Ein Interview aus der SZ


SZ.de: Herr Ganser, Sie haben die Menschenfeindlichkeit der Münchner untersucht. Was hat Sie überrascht?
Christian Ganser: Wie viele Münchner dem Islam feindlich gesinnt sind. Es gibt zu viele Muslime in Deutschland - dieser Aussage stimmen mehr als 20 Prozent zu. Fast die Hälfte der Münchner findet sogar, dass die muslimische Kultur nicht nach Deutschland passt. Das ist ein hoher Wert, der mich aber eher persönlich überrascht hat. Deutschlandweite Studien kommen zu einem ähnlichen Ergebnis.

Nun ist München eine relativ reiche Stadt mit einer geringen Arbeitslosigkeit ...
Das hat aber kaum Einfluss. Die Münchner sind etwas weniger ausländerfeindlich als der Rest der Deutschen. Ansonsten sind die Ergebnisse ähnlich. Es ist nicht eine bestimmte Gruppe, also beispielsweise nur die "Armen", die menschenfeindlich ist. Im Gegenteil: Eine solche Einstellung ist weitverbreitet. Ein wenig geht sie einher mit dem Gefühl, man habe politisch keinen Einfluss. Und Männer sind Obdachlosen und Muslimen etwas feindlicher gesinnt. Aber man kann nicht sagen, dass Muslimfeindlichkeit ein typisch männliches Problem wäre.

Arbeitslose, Homosexuelle, Obdachlose - wie kommen Münchner mit solchen Gruppen zurecht?
Insbesondere Langzeitarbeitslosen stehen viele Münchner feindselig gegenüber. Fast die Hälfte der Befragten zeigte sich skeptisch. Bei Obdachlosen sind es immerhin noch 23,5 Prozent. Dagegen haben sich nur 8,2 Prozent der Münchner frauenfeindlich geäußert. 9,1 Prozent ausländerfeindlich. Das sind natürlich immer noch zu viele. Auffällig ist: Feindseligkeit wird vor allem dann geäußert, wenn Themen salonfähig sind. Seit der Einführung von Hartz IV ging es beispielsweise viel um angeblich faule und arbeitsscheue Arbeitslose. Und über Muslime wird vor allem in Zusammenhang mit Terror berichtet. 

Derzeit findet der NSU-Prozess in München statt und es wird vermehrt über Rechtsextremismus diskutiert. Haben solche aktuellen Entwicklungen Einfluss?
Das lässt sich kaum beantworten. Speziell auf Stadtebene gab es eine solche Untersuchung bislang nicht. Eine frühere Studie zur Menschenfeindlichkeit wurde beispielsweise nur in bestimmten Vierteln durchgeführt, in denen 2008 auffällig viele Menschen extrem rechts gewählt haben - in Aubing etwa. Das Beunruhigende: Die Ergebnisse unterscheiden sich nicht wirklich von unserer Studie. Menschenfeindlichkeit ist also kein Randphänomen, sondern durchaus weitverbreitet in München. 

Was passiert nun mit den Ergebnissen Ihrer Studie?
Sie soll im Stadtrat diskutiert werden. Dann muss man sehen, was für politische Konsequenzen gezogen werden. Ich persönlich sehe Handlungsbedarf. Muslimfeindlichkeit ist kein Problem, das auf München beschränkt ist. Man kann also nicht nur die Stadtpolitik verantwortlich machen. Unsere Ergebnisse zeigen aber: Kontakt mindert die Ablehnung. Man könnte also folgern, dass man den Kontakt intensivieren muss - also etwa ein Begegnungszentrum in München einrichten.

Freitag, 17. Mai 2013

Benz: Feindbild der Juden durch Muslime ersetzt

"Wirkliche Kritik setzt Sachkenntnis voraus. Verallgemeinerung hingegen ist das Kochrezept aller Vorurteile", sagte Prof. Dr. Wolfgang Benz in der Bibliothek des Deutschen Bundestages, wo er aus seinem Buch "Die Feinde aus dem Morgenland. Wie die Angst vor den Muslimen unsere Demokratie gefährdet" las.
aus www.bundestag.de




In seinem Werk analysiert der renommierte Antisemitismusforscher aus der Perspektive der Vorurteilsforschung Mechanismen der Ausgrenzung einer Minderheit durch die Mehrheit. Eine zentrale These des Autors dabei lautet: Muslimfeindlichkeit arbeitet mit ganz ähnlichen Argumentationsmustern und Stereotypen wie der Antisemitismus.

Einteilung in Gut und Böse

"Gemeinsam ist diesen Vorurteilen die Einteilung in Gut und Böse sowie das Phänomen der Ausgrenzung. Oftmals dient eine solche Denkweise der Anhebung des eigenen Selbstbewusstseins, auch um soziale Frustrationen zu lindern", so Benz. Zentrale Rollen bei der Diskriminierung von Fremden spielten vor allem Religion und Kultur. Vergleiche man Antisemitismus mit Islamfeindlichkeit, so lasse sich ein grundlegender Unterschied feststellen. Im Gegensatz zum ausgehenden 19. Jahrhundert geht es heute nicht mehr um die Emanzipation der Juden, sondern um die Integration der Muslime.

Bloggerszene agiert besonders infam

Und diese, so Benz, werde zusätzlich erschwert durch moderne Technologien wie das Internet. Benz: "Dabei ist die Muslimfeindschaft in der Bloggerszene besonders infam. Morde an Muslimen werden dort zum Teil freudig begrüßt." Gleichzeitig, führte der Wissenschaftler weiter aus, hätten Verschwörungstheorien Hochkonjunktur. Die mit Abstand beliebteste darunter sei die von der Islamisierung Europas. "Wirklich gefährlich wird es allerdings dort, wo Rechtspopulisten sich der Überfremdungsängste bei Teilen der Bevölkerung bedienen und diese im gemeinsamen Schulterschluss etwa bei Protestveranstaltungen gegen den Bau einer Moschee ausleben." Hier entstünden neue Aktionsfelder zur Einbindung bürgerlicher Gruppen in rechte Bewegungen.

Perfide Gemeinsamkeit

"Als Beispiel sei nur ,Pro Köln’ genannt", sagte Benz. Besonders bedenklich hierbei sei der Umstand, dass der Übergang von Rechtspopulismus zu Rechtsextremismus fließend sei. Die perfide Gemeinsamkeit zwischen Antisemitismus und Muslimfeindschaft sei die Instrumentalisierung von Feindbildern. In beiden Fällen werde mit Stereotypen hantiert. "Dabei ist mir jedoch wichtig zu betonen, dass es mir bei der Beschreibung dieser Analogie nicht darum geht, Juden und Muslime mit einander gleichzusetzen, sondern Gemeinsamkeiten bei den Mustern ihrer Diskriminierung herauszuarbeiten", betonte er.

Haltung nicht auf Kleinbürgertum beschränkt

Derer gebe es viele, sagte er weiter. "Vorurteile speisen sich stets aus Imaginationen. Typisch ist auch, dass Personen, die Vorurteile pflegen, sich lieber emotional ausagieren als einen intellektuellen Ansatz zu verfolgen. Zum anderen beharren sie gerne auf ihren politischen Positionen und sind nicht offen für neue Erkenntnisse."
Hervorzuheben sei dabei jedoch, dass sich diese Haltung nicht etwa auf die Kreise des Kleinbürgertums beschränke, sondern sich durch alle Schichten der Gesellschaft ziehe. "Dabei treiben sie dieselben Sorgen um, wie damals die Antisemiten im Dritten Reich: Etwa die Angst vor Überfremdung oder vor kultureller Expansion."

Es gibt keine Weltverschwörung der Muslime

Diese Ängste, so Benz, sei für so manchen allerdings bares Geld wert: "Mit ihren Verschwörungstheorien tingeln einige Autoren durch die Talkshows und bemühen sich, als Experten wahrgenommen zu werden – allerdings als Experten für Dinge, die nicht existieren: Es gibt schlicht keine Weltverschwörung der Muslime, wie sie mancher dieser zweifelhaften Autoren ausgemacht haben will. Nichtsdestotrotz verkaufen sich solche Thesen glänzend."

Die Extremismusforschung, so das Fazit von Benz an diesem Abend, komme zu einem eindeutigen Schluss: "Das Feindbild der Juden wird heute durch das Feindbild der Muslime ersetzt." Wieder gehe es um die Ausgrenzung einer Minderheit. "Höchste Zeit", so der Appell des Autors, "diese Diskriminierungsmechanismen zu verstehen und schließlich zu verhindern." Die Deutschen müssten endlich aus ihrer Geschichte lernen. "Denn was ist die Kultur der Erinnerung, auf die wir in Deutschland so stolz sind, wert, wenn wir die Diskriminierung der Juden heute bei einer anderen Gruppe wiederholen?"

Donnerstag, 3. Januar 2013

Lokalpatriotismus in Berlin: Schwaben sollten sich integrieren

Nach den jüngsten Auslassungen von Wolfgang Thierse wird in Berlin erneut über die angebliche Schwaben-Schwemme diskutiert. Das Gemotze sagt mehr über die Hauptstädter, als über die Zugezogenen. Viele sehen es mittlerweile als persönliche Lebensleistung an, Einwohner Berlins zu sein. Und der Schwabe? Der wird zum Sündenbock für alles - vor allem für die Gentrifizierung.  
Von Roman Deininger und Judith Liere, SZ

Schwaben Berlin Thierse

Hauptstädtisches Hassobjekt: "Schwabenecken" liegen in der Auslage einer schwäbischen Bäckerei im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg.

Eine Zeitlang dachten die Schwaben in Berlin schon, sie könnten aufatmen. Fast hatten sie ausgedient als Feindbild für all das, was die Berliner an der Entwicklung ihrer Stadt nervt. Andere Gruppen rückten ins Motz- und Hasszentrum: Erst waren es Latte-Macchiato-Trinker, dann Mütter mit Kinderwagen, schließlich traf es Reisende mit Rollkoffern, und in letzter Zeit hasst man gerne junge feierfreudige Touristen oder Austauschstudenten aus Spanien.
 
Wolfgang Thierse hat sich also nicht als besonders trendbewusst erwiesen, als er mit einem Interview mit der Berliner Morgenpost die alte Schwaben-Hetze wieder auspackte. Den Müttern gegenüber zeigte sich der Bundestagsvizepräsident tolerant, als er gefragt wurde, was ihn in seiner Nachbarschaft, dem Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg, nerve. "Es sind andere Dinge, die das alltägliche Zusammenleben manchmal strapaziös machen", erklärte er. Was dem SPD-Politiker zusetzt: "Wenn ich beim Bäcker erfahre, dass es keine Schrippen gibt, sondern Wecken. Da sage ich: In Berlin sagt man Schrippen, daran könnten sich selbst Schwaben gewöhnen." Empörte Schwaben haben Thierse inzwischen darauf hingewiesen, dass es auch bei Stuttgarter Bäckern keine Wecken gibt, sondern Weckle. Thierse ficht das nicht an: "Ich wünsche mir, dass die Schwaben begreifen, dass sie jetzt in Berlin sind. Und nicht mehr in ihrer Kleinstadt mit Kehrwoche."

Die Schwaben gelten als Volksstamm, der für seinen Fleiß, seine Sparsamkeit und seinen Glauben mit immerwährendem Wohlstand belohnt wird, oder anders: der mit Spießigkeit geschlagen ist. Das verkennt zwar völlig, dass es in Teilen von Stuttgart inzwischen aussieht wie in Prenzlauer Berg. Trotzdem kriegen die Schwaben ihre Klischees nicht los.

Das Problem zeigt sich auch darin, dass der Schwabe auf Thierses tumbe Attacke schon wieder sehr schwäbisch reagiert. EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU) erinnert an die üppigen Geldströme gen Hauptstadt im Zuge des Länderfinanzausgleichs, Dirk Niebel von der FDP nennt Thierse einen "pietistischen Zickenbart", was deshalb seltsam wirkt, weil die Schwaben bekanntlich Weltmarktführer im Pietismus sind.

Wer hip sein will, muss sich ausgrenzen 

Doch nach der Toleranz, für die sich Berlin gerne rühmt, klingt auch Thierses Gestänker nicht. Je hipper die Stadt wird, desto größer wird der Wunsch derer nach Abgrenzung, die sie früh für sich entdeckt und erobert haben, gegenüber denjenigen, die in ihren Augen nur Mitläufer sind. Was hip war, wird Mainstream - dem szenigen Berlin geht es da nicht anders als jeder Subkultur. Menschen, die niemals sagen würden, dass sie stolz sind, Deutsche zu sein, pflegen einen aggressiven Lokalpatriotismus. "Ich bin ein Berliner", das darf praktisch nur noch sagen, wer mindestens in dritter Generation in der Stadt wohnt. Alle anderen: sind doof, anders, haben keine Ahnung und machen das kaputt, was mal war, und außerdem die Mieten teurer.

Dabei soll Theodor Fontane einst bemerkt haben: "Vor Gott sind eigentlich alle Menschen Berliner." Aber so aufgeklärt wie der liebe Gott sind Wolfgang Thierse und die, die es als ihre persönliche Lebensleistung ansehen, Einwohner der Hauptstadt zu sein, offenbar nicht. Der Schwabe wurde zum Sündenbock der Gentrifizierung.

Dabei kommt der größte Anteil der nach Berlin zuziehenden Deutschen gar nicht aus dem Südwesten, sondern aus Nordrhein-Westfalen und Brandenburg - die erkennt man aber nicht so hübsch einfach am Dialekt, die importieren auch nicht ihre Maultaschen und über die existieren auch nicht so viele nachplapperbare Klischees. Erst seit kurzem prangt ein neuer roter "Schwaben raus"-Schriftzug an der Ecke Husemannstraße/Kollwitzplatz; dass Thierse in der Nähe wohnt, ist gewiss nur Zufall. Thierse fand die Kritik an seinen Äußerungen übrigens heftig und die "organisierte Schwabenschaft" humorlos, wie er in mehreren Zeitungsinterviews kundtat.

Dennoch ist es wahrscheinlich, dass auch Thierse seinen Schwabenbegriff weit fasst - so weit, dass mindestens alles Süddeutsche, wahrscheinlich sogar alles Westdeutsche darunter fällt. Diese Pauschalität führte jetzt dazu, dass sich sogar die Badener mit den Schwaben solidarisieren, dem Vernehmen nach das erste Mal in der Geschichte der Menschheit.

Thierse auf Urlaub im Schwäbischen 

Im Grunde ist der Schwabe ohnehin ein sehr heimatverbundener Mensch, vielleicht auch aus praktischen Gründen: Ein eigenes Häusle mit Gärtle ist selbst in Prenzlberg nicht mehr günstig zu haben. Wenn Stuttgarter Geschäftsleute mit der Frühmaschine nach Berlin fliegen, was sich zur Wohlstandsmehrung ab und an nicht vermeiden lässt, freuen sie sich schon auf die Spätmaschine zurück. Und wenn einer von ihnen mal in Berlin übernachten muss, klopfen die anderen ihm tröstend auf die Schulter: Wird so schlimm nicht werden. Oder mit den Worten des nordrhein-westfälischen, mithin neutralen Kabarettisten Arnulf Rating: "Wer es in Stuttgart aushält, dem gefällt es überall."

Im Übrigen gibt es in Berlin auch mäßigende Stimmen. Der Regierende Bürgermeister hat schon vor einem Jahr entgegen seiner Art staatsmännisch erklärt, dass Schwaben "eine Bereicherung, aber keine Bedrohung" sind. Vielleicht war es Klaus Wowereit, vielleicht war es aber auch der immer lauter werdende Unmut der Gescholtenen, der Thierse nun, spät, zum Einlenken gebracht hat. "Wie schon im Vorjahr werde ich im Sommer wieder Urlaub in Baden-Württemberg machen", versprach er den Stuttgarter Nachrichten. Da werden sie sich aber freuen, die Schwaben.

Montag, 12. November 2012

Fethullah Gülen: Tue Gutes, und lasse es wirken

Lange wurde der türkische Gelehrte und Prediger Fethullah Gülen und die nach ihm benannte "Gülen-Bewegung" in Deutschland -zumindest medial- kaum beachtet. Nun erschien zu diesem Thema innerhalb kürzester Zeit schon der zweite Beitrag in einem deutschen Leitmedium. Auffällig ist die diametral entgegengesetzte Meinung der beiden Verfasser von "Der Pate" im Spiegel (eine Kritik zum besagten Spiegelartikel finden sie hier) und dem jetzt erschienenen Beitrag von Rainer Hermann in der FAZ vom 10.11. Ob diese Unterschiede wohl daher rühren, dass der letztgenannte Verfasser im Gegensatz zum Spiegel-Autor auch MIT statt nur ÜBER Gülen geredet hat?
Ein Beitrag von Rainer Hermann, FAZ

Kein Schild weist auf die Abzweigung und den schmalen Feldweg hin. Er führt durch nebligen und herbstlich gefärbten Laubwald zu einem Anwesen mit acht Häusern. An diesen einsamen Ort zog sich vor 13 Jahren Fethullah Gülen zurück, der einflussreichste Prediger des türkischen Islams. Das Militär, damals noch mächtig, hatte ihn aus der Türkei vertrieben. Von Krankheiten geplagt, ließ er sich in amerikanischen Krankenhäusern operieren. Seither hat er das Anwesen kaum verlassen. Die Vereinigten Staaten gaben ihm Visum und Aufenthaltsrecht. Doch auch aus der Ferne blieb der 74 Jahre alte Gülen in der Heimat ein mächtiger Mann. Sein Einfluss war es, der aus den anatolischen Muslimen eine dynamische Mittelschicht schuf. Gülen ist die Stimme dieser „schwarzen Türken“.

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Gülen signiert eines seiner Bücher für seine Gäste in seinem Haus in Pennsylvania

Die „weißen Türken“, das sind die Anhänger Kemal Atatürks, die Anhänger des Kemalismus, die Ideologie der urbanen, gebildeten und säkularisierten Oberschicht Istanbuls, später auch Ankaras. Sie herrschte über die Türkei und blickte mit Verachtung auf die Anatolier herab, die ungebildet waren, provinziell, arm und fromm. Motiviert durch Gülens Lehren, strebten nun viele nach Bildung und wurden wohlhabend, blieben aber weiter fromm. Da Gülen die kemalistische Elite wirkungsvoll in Frage stellte, erklärte sie ihn zum Staatsfeind. Seine Rückkehr würde Gräben aufreißen. Deshalb bleibt der konfliktscheue Gülen in Sailorsburg in Pennsylvania.

Rechtsextremismus-Studie: Jeder dritte Ostdeutsche ist ausländerfeindlich

Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung analysierte in einer aktuellen Studie extremistische Einstellungen in Deutschland - die Ergebnisse sind alarmierend: Im Osten Deutschlands ist Rechtsextremismus weit verbreitet. Doch nicht nur dort: Landesweit gibt es 60% Zustimmung für islamfeindliche Aussagen. Jeder zehnte Deutsche sehnt sich gar nach einem "Führer". 
Ein Beitrag aus der SZ

Rechtsextreme Einstellungen nehmen in Deutschland zu. Neun Prozent aller Deutschen haben ein "geschlossenes rechtsextremes Weltbild", zeigt die aktuelle Studie "Die Mitte im Umbruch. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2012"  der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Vor zwei Jahren waren es noch 8,2 Prozent. Befragt wurden 2513 Menschen in Deutschland. Besonders auffällig ist, dass sich der Osten weiter radikalisiert. Knapp 16 Prozent der Menschen in den neuen Bundesländern haben der Studie zufolge ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild - der höchste bisher gemessene Wert.

Samstag, 20. Oktober 2012

Urteil gegen Diskriminierung: Kopftuch kein Ablehnungsgrund

Darf das Tragen eines Kopftuches ein Grund für eine Ablehnung in einem Bewerbungsverfahren sein? Eine Abiturientin bewarb sich bei einem Zahnarzt um einen Ausbildungsplatz. Sie ist qualifiziert, aber sie trägt ein Kopftuch, das sie auch während der Arbeitszeit nicht ablegen wollte. Darum bekam sie die Stelle nicht und zieht vor Gericht. Sei bekam recht!
Ein Bericht aus der SZ

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) soll Bewerber und Arbeitnehmer davor schützen, in der Berufswelt diskriminiert zu werden. Seit das Gesetz vor sechs Jahren in Kraft getreten ist, dürfen keine "Krankenschwestern" mehr in Stellenanzeigen gesucht werden, auch "junge Mitarbeiter" sind tabu. Jobs müssen geschlechts- und altersneutral ausgeschrieben werden. Denn das Gesetz bestimmt, dass Bewerber und Arbeitnehmer nicht wegen ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung oder ihres Alters diskriminiert werden dürfen.


Vor dem Berliner Landesarbeitsgericht landete im Frühjahr dieses Jahres ein Fall, bei dem das Gesetz abermals zur Anwendung kam - und dessen Urteil richtungsweisend für Tausende Bewerbungsverfahren sein dürfte.

Samstag, 29. September 2012

Muhammed-Schmähvideo: Spot an!

Präsident Obama und Außenministerin Clinton haben in pakistanischen Fernsehsendern einen Spot geschaltet, in dem sie sich von dem Muhammed-Video distanzieren. Eine angemessen Reaktion? 
Ein Kommentar von Christian Geyer, FAZ

In so einer manipulierten Situation, in der Provokateure sich hinter der Meinungsfreiheit verstecken und politische Extremisten sich als Religionskämpfer ausgeben - in diesem Schauspiel kann es nur darum gehen, mit praktischer Vernunft auf beiden Seiten deeskalierend zu wirken, statt einen blutigen Prinzipienstreit auszukämpfen. Das hat der Karikaturist Klaus Staeck, Präsident der Berliner Akademie der Künste, vor Augen, wenn er nach den jüngsten französischen Mohammed-Karikaturen davon abrät, sich jedes Recht, das einem zusteht, zu jeder Zeit herauszunehmen: „Es gibt keine Meinungsfreiheit ohne Verantwortung. Das müssen die Kollegen mit sich selbst abmachen, ob sie in dieser Situation noch einmal Öl ins Feuer gießen, wenn es schon brennt. Das muss man trotz Satire gut abwägen.“

Auch die Frage, ob das Muhammed-Video hierzulande öffentlich aufgeführt werden sollte, möchte Staeck situativ, nicht prinzipiell besprochen sehen (also nicht nach dem Motto: Meinungsfreiheit jetzt!, koste es, was es wolle). Im konkreten Fall, in dem die Gruppe Pro Deutschland eine gezielte Provokation probt, stelle sich vernünftigerweise die Frage so: „Will man dieser kleinen, rechten Splittergruppe die Freude gönnen, dass sie den Film öffentlich aufführen lassen kann? Da appelliere ich an die Kinobesitzer von Berlin, sich diesem Film zu verweigern.“

Auf deeskalierender Linie läuft auch der Spot, den Präsident Obama in pakistanischen Fernsehsendern geschaltet hat, in dem er selbst und Außenministerin Clinton sich von dem Muhammed-Video distanzieren: „Wir lehnen den Inhalt und die Botschaft absolut ab.“ Die volkspädagogische Pointe: Ein westlicher Filmemacher ist nicht der Westen, und nicht jeder Schmäh gehört verboten geschweige denn mit Gewalt beantwortet.

Das mag, millionenfach unters pakistanische Volk gebracht, eine Geste zur rechten Zeit sein; man wird sie von den jeweiligen islamischen Kreisen ebenso gut als Aufklärung wie als Propaganda hinstellen können. Dass der pakistanische Premier das Muhammed-Video kurz vor dem Freitagsgebet als „Angriff auf 1,5 Milliarden Muslime“ wertete, sieht eher nach Scharfmacherei aus, als solle eine mögliche besänftigende Wirkung des Obama-Spots im Keim erstickt werden.

Dienstag, 25. September 2012

Buschkowsky (SPD) polarisiert mit Integrationsschelte

Mit seinem neuen Buch "Neukölln ist überall" provoziert der Bezirksbürgermeister Buschkowsky heftige Reaktionen. Er fordert mehr Härte gegen Integrationsunwillige, Fundamentalisten und Straftäter. Manche sehen darin die "bittere Realität in deutschen Ballungszentren" beschrieben, andere hingegen sprechen von Rassismus.
Von Roland Preuß, SZ
 
Es ist gekommen, wie Heinz Buschkowsky (SPD) es in seinem Buch vorhergesagt hat: Er ist heftig angegriffen worden für seine Aussagen zur Integrationspolitik; der Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln erhält aber auch Unterstützung.
Buch 'Neukoelln ist ueberall' 
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sagte am Wochenende, Buschkowsky gebe in seinem Buch "Neukölln ist überall" nicht immer die richtigen Antworten. Die von ihm beschriebenen Verhältnisse ließen sich nicht eins zu eins auf ganz Deutschland projizieren, sagte die FDP-Politikerin der Welt am Sonntag. "Er stellt die richtigen Fragen, auch wenn er für die Antworten gelegentlich den großen Pinsel benutzt." Buschkowsky beschreibt in seinem am Freitag erschienenen Buch die gescheiterte Integration von Migranten aus Neuköllner Perspektive. Er fordert mehr Härte gegen Integrationsunwillige, religiöse Fundamentalisten und Straftäter.

Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir warf Buschkowsky vor, in der Sprache des Boulevards zu formulieren. "Hier finden sich die üblichen Verallgemeinerungen, die Geschichten über die angeblich gescheiterte Integration, die übliche Abrechnung mit der multikulturellen Gesellschaft", sagte Özdemir, der selbst türkische Wurzeln hat.

Rassismus oder Beschreibung der Realität?

Der Bezirksbürgermeister von Kreuzberg, Franz Schulz, wirft seinem Neuköllner Kollegen im Spiegel eine "alarmistische, tendenziell rechtspopulistische Grundhaltung" vor. "Aus Kreuzberger Sicht ist das Rassismus - und es spiegelt vor allem nicht unsere Lebenswirklichkeit." Laut Schulz gibt es in seinem Bezirk dank umfangreicher Hilfsangebote große Fortschritte bei den Deutschkenntnissen türkisch- und arabischstämmiger Kinder.

Eher zustimmend äußerte sich Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU). Schuld an den Neuköllner Zuständen seien nicht allein der Staat oder die Gesellschaft, sagte sie. "Diese Jugendlichen müssen auch aufsteigen wollen und müssen erkennen, dass sie dafür was tun müssen." Zu einem funktionierenden Miteinander gehöre zudem Respekt.

Klare Unterstützung kam von Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU). Was Buschkowsky beschreibe, sei bittere Realität in Teilen deutscher Ballungszentren und Großstädte. "Das geht so weit, wie Buschkowsky beschreibt, dass in bestimmten Vierteln ethnisch-religiöse Regeln staatliche Normen verdrängen."

Dienstag, 18. September 2012

Der hohe Preis der Meinungsfreiheit

Die heftigen Proteste gegen das Muhammed-Schmähvideo lassen nicht nach. In Deutschland und den USA ist jetzt eine Diskussion darüber entbrannt, wie sich die Verbreitung des Films unterbinden lässt. Bundesinnenminister Friedrich (CSU) will unbedingt verhindern, dass Rechtspopulisten den Film zeigen. Das Weiße Haus intervenierte sogar bei Youtube - ein extrem ungewöhnlicher Schritt.
Von Peter Blechschmidt und Alexandra Borchardt, SZ 

Die rechtspopulistische "Bürgerbewegung pro Deutschland" präsentiert es als einen Akt der Meinungsfreiheit. Sie will den islamfeindlichen Film "Innocence of Muslims" in Berlin zeigen, wie sie auf ihrer Internetseite ankündigte, auf der zunächst auch Auszüge aus dem Film abrufbar waren.

Afghan protesters set fire to a U.S. flag as they shout slogans during a demonstration in Kabul
Antiamerikanische Proteste in der afghanischen Hauptstadt Kabul. (© REUTERS)
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sieht darin einen Versuch, Islamisten auch in Deutschland zu provozieren. "Damit gießen sie grob fahrlässig Öl ins Feuer", sagte Friedrich dem Spiegel. "Dagegen muss man mit allen rechtlich zulässigen Mitteln vorgehen." Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick unterstützte am Sonntag das Vorhaben des Ministers.

Das ist leichter gesagt als getan. Die Meinungsfreiheit ist in Deutschland ein hohes Gut und wird vom Grundgesetz garantiert. Möglicherweise könnte man versuchen, der Gruppe wegen eines Verstoßes gegen die Völkerverständigung oder Verunglimpfung eines religiösen Bekenntnisses beizukommen, doch würden solche Schritte gerichtliche Auseinandersetzungen ungewissen Ausgangs bringen.

Mittwoch, 15. August 2012

"Der Pate" - Eine Kritik zum Gülen-Artikel im SPIEGEL

Im "SPIEGEL" 32/2012 ist ein höchst fragwürdiger Artikel von Maximilian Popp über Fethullah Gülen und der ihm zugeschriebenen "Gülen-Bewegung" erschienen. Nicht nur, dass die Einseitigkeit des Artikels in der Deutschen Medienlandschaft ihresgleichen sucht; er ist auch gespickt von de facto falschen Informationen sowie nicht belegten Anschuldigungen.
Eine kritische Analyse

Nun ist es also wieder mal soweit. Wieder einmal ein „Muslim bashing“ von einem wohl etwas unbedachten, unerfahrenen, jungen Journalisten, der sich mit Fethullah Gülen und der ihm zugeschriebenen Bewegung befasst. Diesmal mussten halt die Gülenisten für die Bestätigung gängiger Vorurteile gegenüber diversen religiösen und kulturellen Einflüssen mit orientalischem Ursprung herhalten.

Selten liest man in den deutschen Leitmedien einen derart voreingenommenen und undifferenzierten Artikel. Sich augenscheinlich der journalistisch unbedenklicher Neutralität verpflichtet, lässt der Autor auf vier Seiten zwar sowohl Befürworter als auch Kritiker der Bewegung zu Wort kommen, bedient dabei jedoch Zeile für Zeile alle gängigen Vorurteile gegenüber Muslimen im allgemeinen und der Gülen-Bewegung im speziellen. 

Schon der Titel verheißt nichts Gutes: da wird also ein islamischer Gelehrter, der sich wie kaum ein anderer für den Dialog und für die Bildung einsetzt, begrifflich in die Nähe eines italienischen Mafiosi gestellt; Francis Ford Coppola lässt grüßen. Das sich Gülen mehrfach, glaubhaft und entschieden gegen jede Art von Gewalt gestellt und mit seiner Aussage „Ein Muslim kann kein Terrorist, ein Terrorist kann kein Muslim sein“ einen einmaligen Vorstoß nach den 9/11-Anschägen gemacht hat, wird kurzerhand verschwiegen. Wen kümmert es?

Der Text wirkt wie ein Sammelsurium von bereits mehrfach vorgetragenen gängigen Anschuldigungen gegenüber Gülen. Nach neuen Erkenntnissen sucht man vergebens, geschweige denn von Beweisen für die vielen Vorwürfe. Viele der vermeintlichen Anschuldigungen lassen sich mit einem simplen „so what“ beantworten. Dass der Bewegung mehrere Medienorgane gehören, dass sie Schulen gründen und in Bildung investieren, sich die Anhänger in WG’s treffen -wohlgemerkt ganz ohne Alkoholkonsum und stickt getrennt nach Geschlechtern- liest sich wie eine Aufzählung von Banalitäten.

Bei „echten“ Vorwürfen jedoch horcht man auf. Gülen wird wahlweise mit Chomeini, Scientology oder mit Opus Dei verglichen. Eine nähere Erläuterung, wie man zu diesen Vergleichen kommt? Fehlanzeige! Schließlich hat man ja nur zitiert. Aussteiger hätten es schwer und würden sich um ihre Gesundheit und Familie sorgen. Das dieser Fall -eine wie auch immer geartete Gewalt gegenüber Aussteigern- nie und nirgends in der Welt jemals stattgefunden hat, ist für den Schreiber nicht von Interesse. Der Autor macht sich an dieser Stelle lächerlich und unglaubwürdig zugleich, wenn er behauptet, der angebliche Aussteiger wäre aufgrund seiner Faszination von Gülens Frömmigkeit in die WG’s der Bewegung eingetreten, um danach entsetzt festzustellen, dass er dort keine Frauen und Alkohol findet. Es sollte ihm in den Lichthäusern aufgezwungen sein, Ungläubige als Freunde zu finden. Dumm nur, dass er 2 Zeilen weiter behauptet, dass er kaum Freunde außerhalb der Bewegung haben durfte. Dass bei derartigen Widersprüchen überhaupt kein Zweifel an der Richtigkeit beim Autor aufkam, sagt einiges aus.

Auch die Mär von den undurchsichtigen Finanzen darf in einem solchen Artikel natürlich nicht fehlen. Das alle Gülen-Institutionen eingetragene, meist gemeinnützige Vereine sind, dass Schulen, Verbände und Vereine den in Deutschland gängigen Kontrollen der jeweiligen Behörden -auch dem Finanzamt- unterliegen und sich bis dato nichts zu Schulden haben kommen lassen, spielt für SPIEGEL keine Rolle. Da passt es auch ins Bild, dass das längst widerlegte, weil völlig aus dem Zusammenhang gerissene Zitat von Gülen über Militärangriffe gegen kurdische Terroristen mantrahaft wiederholt wird. 

De facto falsch ist auch die Behauptung, Gülen erhielte mit Cemalettin Kaplan, dem einstigen „Kalifen von Köln“, gemeinsam Unterricht. Wer auch immer dem Autor diesen Floh ins Ohr gesetzt hat; eine einfache Google-Recherche hätte gereicht, um zu erfahren, dass dies nicht stimmen kann. Alleine schon der Altersunterschied von 15 Jahren hätten ausreichen müssen, um den Verfasser stutzig zu machen. Aber nein, Hauptsache die Namen Gülen und Kaplan tauchen in einem Satz auf!

Wie groß die Aversion und das Misstrauen des Autors gegenüber der Bewegung sind, zeigt sich bei seiner Beschreibung des Büros eines Dialogzentrums in Berlin. Weil er im Bücherregal das „Tagebuch der Anne Frank“ entdeckt, glaubt er zu wissen, dass dies nur ein Zeichen vorgetäuschter Trauer um die Toten des Holocausts sei. Soweit ist man also schon gekommen in Deutschland, dass sich Migranten von Einheimischen Heuchelei in Sachen Holocaust vorwerfen lassen müssen, knapp 70 Jahre nach dem nationalsozialistischen Völkermord an Millionen von Juden. 

Neue Einblicke in die Gülen-Bewegung erhält man mit diesem reißerischen Artikel mit Sicherheit nicht, wohl aber einen Einblick in die verbohrte Innenwelt des Schreiberlings Maximilian Popp.

Sonntag, 29. Juli 2012

Die Gülen-Bewegung: Gottes fleißige Schüler

Die einen halten Anhängern der Gülen-Bewegung für ideale Muslime: modern, tolerant, weltoffen. Andere sehen in der Gülen-Bewegung ein weltweites Netzwerk, das die Gesellschaften islamisieren will. Ist das Panikmache oder berechtigte Kritik? Was will die Gülen-Bewegung wirklich? Ein Feature.
Ein Bericht des Deutschlandfunks, Jan Kuhlmann

  

»Fethullah Gülen ist ein muslimischer Gelehrter, ein muslimischer Intellektueller, der sich für Frieden, für Bildung und für den Dialog einsetzt, und das aus tiefer religiöser Überzeugung. Was für mich sehr prägend und beispielhaft ist, ist sein Einsatz für den Frieden, für soziale Gerechtigkeit und für einen konstruktiven Umgang miteinander. Dass man Differenzen nicht zu Streitthemen macht, sondern in einem Dialogprozess die Differenzen ausdiskutiert und eine gemeinsame Basis findet, auf der man dann sozial gemeinsam handelt.«

Süleyman Bağ ist ein Journalist aus Berlin mit türkischen Wurzeln. Der gläubige Muslim zählt zur sogenannten Gülen-Bewegung, die der türkische Prediger Fethullah Gülen in den Achtzigerjahren gegründet hat. Millionen Muslime hat Gülen weltweit mit seinen Lehren inspiriert. Vor allem in der Türkei findet die Bewegung großen Zulauf, aber auch in Deutschland, den USA und der ehemaligen Sowjetunion wächst sie. Viele von Gülens Anhängern loben vor allem die modernen Ansichten des Predigers, der den Dialog zwischen den Kulturen fördern wolle. Sie sehen ihn als islamischen Reformdenker.

Freitag, 22. Juni 2012

Hetze gegen Özil - Innenminister Friedrich erbost

Die Internet-Anfeindungen gegen den türkischstämmigen deutschen Nationalspieler Mesut Özil haben Innenminister Friedrich auf den Plan gerufen. Er fordert Solidarität mit all unseren Spielern.
Ein Bericht aus der Neuen Osnabrücker Zeitung 

Mesut Özil
© AFP Mesut Özil wurde Opfer übler Anfeindungen im Internet

In einem Gespräch mit der NOZ kritisierte Friedrich: „Der Fall Özil zeigt nur die Spitze des Eisbergs.“ Die Verwahrlosung der Umgangsformen im Internet sei „erschreckend“. Skeptisch äußerte er sich über die Chance, Twitter-Täter zu stellen. „Es gibt grundsätzlich Möglichkeiten, da die Täter im Netz Spuren hinterlassen. In vielen Fällen ist die Fahndung aber mangels Vorratsdatenspeicherung derzeit nicht Erfolg versprechend“, sagte der Minister.
 
Scharf kritisierte Friedrich auch kroatische Fans, die bei der EM erneut mit rassistischen Gesängen, Affengebrüll und Bananenattacken gegen farbige Spieler auffielen. „Diese Typen muss man isolieren und ihre hirnlosen Aktionen entlarven“, sagte er. „Rassismus darf in unserer Gesellschaft keinen Platz haben. Wir alle müssen uns diesen Auswüchsen mit aller Kraft entgegenstellen“, sagte der Innenminister. Als beschämend bezeichnete Friedrich auch „Sieg, Sieg“-Rufe deutscher Zuschauer ausgerechnet in der im Zweiten Weltkrieg von Deutschen besetzten Ukraine. Auch dass einige wenige sogenannte Fans die verbotene Reichskriegsflagge gezeigt hätten, mache ihn wütend. „Als deutscher Patriot schäme ich mich, wie diese Leute unser Ansehen in Europa und der Welt versuchen zu beschädigen“, betonte der Innenminister. Die überwältigende Mehrheit der Fußballfans habe damit nichts zu tun. Es dürfe nicht sein, dass diese verschwindend kleine Minderheit das Bild bestimme und Deutschlands Ansehen schade.

Dienstag, 10. Januar 2012

Sarrazins Pferdemist – Der Lippizaner schafft sich ab

Bei einem Auftritt im sächsischen Döbeln hat Thilo Sarrazin seine Thesen in die Sprache der Pferdezüchter übersetzt: edle Lippizaner und belgische Ackergäule. Was sich wie ein ironischer Beitrag liest, ist ein Auszug der blanken Niveaulosigkeit der Sarazzinischen Integrationsdebatte.
Ein Bericht aus Welt Online

Letztes Jahr schreckte eine Nachricht alle Liebhaber der Spanischen Hofreitschule auf: „Heuer wurden nur 31 Fohlen geboren – das ist die Hälfte des für die Zucht notwendigen Minimums. Damit ist die Lipizzaner-Zucht in akuter Gefahr.“ So Alfred Pischler, Leiter des österreichischen Bundesgestüts Piber. Bald bleibe nur noch die Inzucht. Der Lippizaner schafft sich ab.

Was passiert, wenn Ackergäule auf Lipizzanerpferde treffen? "Völlig klar", sagte Thilo Sarrazin, "die genetisch bedingte Fähigkeit zum Laufen sinkt"
Womit wir bei Thilo Sarrazin wären, der seine Thesen gern mit Beispielen aus der Tierwelt belegt: „Stellen Sie sich vor, dies sei ein Gestüt mit Lipizzanerpferden oder sonst irgendetwas, und irgendwie will es der Zufall, dass dort in jeder Generation einmal ein belgischer Ackergaul eingekreuzt wird“, erklärte Sarrazin seinen Zuhörern in Döbeln, einer sächsischen Stadt unweit von Chemnitz. „Völlig klar, die genetisch bedingte Fähigkeit zum Laufen sinkt, gleichzeitig steigt die genetisch bedingte Fähigkeit, eine Karre durch den Lehm zu ziehen. Aber das ist dann eine andere Eigenschaft. Und genauso ist es auch beim Menschen.“

Ein Ausländeranteil von 1,5 Prozent

Nun ja. Eigentlich ist es beim Menschen nicht genau so. Deutschland ist keine Zuchtanstalt, jedenfalls dachten wir, „Lebensborn“ sollte eine Ausnahme bleiben. Wohlwollend und die Metaphern mischend könnte man sagen, Sarrazin meine das nicht so, da seien halt die Gäule mit der Rampensau durchgegangen. Der Landkreis Döbeln hat einen Ausländeranteil von 1,5 Prozent, dafür bekommt die NPD 6,5 Prozent der Stimmen. Seit der Wende hat die Stadt 20 Prozent ihrer Bewohner verloren. Wer etwas aus sich machen wollte, arbeitet längst als Zuwanderer woanders.

Da hat Sarrazin, den IQ seiner Zuhörer ebenso kalt einkalkulierend wie ihre Ressentiments, halt den Leuten gegeben, was sie hören wollten: Sie sind keine dumpfen Loser, sondern edle Lippizaner, und sie sollten sich vorm „Einkreuzen“ artfremden Blutes in Acht nehmen. Belgische Ackergäule? Nö. Schon gar keine türkischen Dönerbudenbesitzer. Wer will denn Karren aus dem Dreck ziehen?

Die Szene war in einer WDR-Dokumentation zu sehen, in der Sarrazin auch gefragt wurde, ob ihn die Zustimmung der NPD nicht störe. „Wenn die NPD sagt, die Erde ist rund, werde ich nicht sagen, die Erde ist flach“, so der Ex-Bundesbanker, von dem böse Zungen behaupten, er arbeite an einem zweiten Buch mit dem Titel: „Europa schafft sich ab: Wie Zuwanderung unsere Währung gefährdet“. Der Punkt ist natürlich: Die NPD behauptet ja, die Erde sei flach. Ach, und was die Pferde angeht: Lipizzaner führen spanisches, neapolitanisches und – horribile dictu – arabisches Blut.

Mittwoch, 14. Dezember 2011

Die vergiftete Gesellschaft

Fremdenfeindlichkeit und Rechtspopulismus sind in Deutschland auf dem Vormarsch. In einer über zehn Jahre angelegten Studie "Deutsche Zustände" kommt Sozialforscher Wilhelm Heitmeyer zu dem Befund, dass die Abwertung von Minderheiten wie Langzeitarbeitslosen, Zuwanderern und Behinderten deutlich zugenommen hat. "Etwa 10% der Deutschen denken durch und durch rechts", stellt Heitmeyer fest. Die Gewaltbereitschaft der Rechtspopulisten hätten im letzten Jahr um 16% zugenommen. Insbesondere Muslimen begegneten die Deutschen skeptisch bis feindselig. Über 50% der Befragten sagen heute, sie hätten große Probleme, in eine Gegend zu ziehen, in der viele Muslime leben. Für das Klima in der Gesellschaft sei das alles andere als erfreulich, sagt Heitmeyer, "die Gesellschaft ist vergiftet". 
Ein Bericht aus Focus Online

Mit den wirtschaftlichen Problemen entwickelt sich in Deutschland vermehrt eine Atmosphäre sozialer Kälte. Die Menschen haben zunehmend das Gefühl, dass die Politik die Probleme des Landes nicht mehr regeln kann. Das hat Konsequenzen für die Meinung über schwache Gruppen. Sie werden zuerst Opfer der negativen Beurteilung der Lage. Die Abwertung von Obdachlosen, Arbeitslosen und Behinderten nimmt zu, die Fremdenfeindlichkeit steigt erneut an. Besonders Besserverdienende grenzen sich vermehrt von ärmeren Mitgliedern der Gesellschaft ab. Engagement und Solidarität werden immer stärker danach bemessen, ob sie sich auch wirtschaftlich lohnen. Das sind zentrale Ergebnisse der Langzeitstudie „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ (GMF) des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld jetzt vorgelegt hat.


Portrait: Wilhelm Heitmeyer
Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer bei der Präsentation seiner neuen Studie. Foto: Stephan Röhl

Montag, 21. November 2011

IDIZEM feiert sein 10-jähriges Bestehen

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Mit rund 250 geladenen Gästen feierte IDIZEM am 17.11.2011 im Münchner Künstlerhaus das 10-jährige Bestehen des Vereins. Vertreter aus Politik, Verwaltung, Kirche, Bildung, Konsulate und Kooperationspartner aus 10 Jahren waren hierzu zum "Dialog-Dinner" eingeladen.

Nach den Grußworten von Franz Maget im Namen des Bayerischen Landtags und Dr. Inci Sieber (Stadträtin) im Namen der Stadt München hielt Ralph Deja (Nymphenburger Gespräche, Pax Christi) die Festrede des Abends. Beim Fest-Dinner hatten die Teilnehmer die Gelegenheit, sich intensiv auszutauschen. Umrahmt wurde der Abend durch die musikalische Darbietung der Gruppe LebiDerya aus Mannheim.

Neben diesem runden Vereins-Geburtstag wurde auch an das 50-jährige Jubiläum des Anwerbeabkommens mit der Türkei erinnert. 

Zu den Presseberichten:

Beitrag im Zaman: IDIZEM'den örnek calisma
Beitrag im Hürriyet: Alman olarak utaniyorum
Beitrag auf STV: Münihte diyalog rüzgari (Video)
Beitrag in der SZ: Kopftuch und Dirndl

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Sonntag, 30. Oktober 2011

Almanya, das neue Deutschland

Am 30. Oktober 1961, also vor genau 50 Jahren kamen die ersten türkischen Gastarbeiter nach Deutschland, nachdem sich die Türkei und Deutschland in einem Zwei-Seiten-Papier mit der Überschrift "Deutsch-Türkisches Anwerbeabkommen" darauf geeinigt hatten. Die langfristigen Auswirkungen auf die Menschen und das Land war wohl keinem der Parteien bewusst. 
Ein Resümee von Heribert Prantl von der SZ

Die neue deutsche Geschichte begann vor fünfzig Jahren; sie begann 1961 an einem Montag, nach einem viel zu warmen Monat Oktober; sie begann so, dass niemand es merkte - irgendwie mickrig, ohne Trara, ohne Staatsbesuch, ohne Nationalhymnen, ohne feierliche Reden, ohne Händedruck; es gab keine in Leder gebundenen Urkunden, und niemand setzte ein bedeutendes Gesicht auf.

Türkische Gastarbeiter auf dem Düsseldorfer Flughafen
Türkische Gastarbeiter auf dem Düsseldorfer Flughafen. (© dpa)
Als staatsrechtlich bedeutsamen Akt verstand es niemand, dass da zwei Seiten Papier hin- und hergeschickt wurden. Im Text dieser zwei Seiten ging es ja nur um eine Art Liefervertrag: Das Auswärtige Amt in Bonn gab in einem kurzen Schreiben an die türkische Botschaft eine Bestellung auf - und die Botschaft beehrte sich mitzuteilen, dass sie gerne liefern werde. Es handelte sich nicht um die Lieferung von Haselnüssen für bundesdeutsche Kantinen, sondern um die Lieferung von billigen Arbeitern für die bundesdeutsche Wirtschaft, genannt "Vermittlung von türkischen Arbeitnehmern nach der Bundesrepublik Deutschland".