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Samstag, 17. August 2013

Gerichtsurteil: 62-jährige darf nicht zur Teilnahme am Integrationskurs gezwungen werden

Behörden dürfen Ausländer nicht in jedem Fall zur Teilnahme an einem Integrationskurs zwingen. Vielmehr muss die entsprechende Behörde die Lebensumstände der betroffenen Person beachten, so ein Urteil des Verwaltungsgerichtes. Damit gab es der Klage einer 62-jährigen Türkin statt, die zu einem Integrationskurs verdonnert wurde, obwohl ihre Kinder bestens integriert sind und sie nie auf Transferleistungen angewiesen war.
Ein Bericht aus "Spiegel Online"

Wörterbuch bei Sprachkurs: Teilnahme unzumutbar
 
Eine 62-jährige Analphabetin mit türkischem Pass darf nicht verpflichtet werden, an einem deutschen Integrationskurs teilzunehmen. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg stellte in einem jetzt veröffentlichten Urteil klar, dass Ausländerbehörden bei Integrationskursen einen Ermessensspielraum haben. Für die Frau, die unter einer Krankheit leide, sei die Teilnahme unzumutbar. Außerdem habe sie die Integration ihrer Kinder "besonders erfolgreich" gefördert, betonte das Gericht. Die Türkin hatte geklagt, weil die Ausländerbehörde des Karlsruher Landratsamtes sie zu einem Kurs verpflichtet hatte. Der Behörde zufolge war die Frau nachhaltig daran gehindert, "sich in Gesellschaft und Erwerbsleben zu integrieren".

Zunächst hatte das Verwaltungsgericht eine Klage der Frau abgewiesen, dagegen ging sie jetzt mit Erfolg vor. Die Hausfrau lebt seit 1981 in Deutschland mit ihrem türkischen Ehemann, der einen Lebensmittelladen betreibt. Alle sechs Kinder sind Deutsche und haben einen Schulabschluss, ein Sohn studiert Wirtschaftsinformatik. Es sei die ureigene Entscheidung der Klägerin, mit ihrer Familie nur Türkisch zu sprechen, so die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs.

Nach dem Aufenthaltsgesetz müssten Ausländer nur dann einen Integrationskurs machen, wenn sie in besonderer Weise integrationsbedürftig seien - dies treffe auf die Frau nicht zu. Das Gesetz zwinge die Behörden auch nicht, jemanden zur Kursteilnahme zu verpflichten. Das inzwischen rechtskräftige Urteil hat laut einem Gerichtssprecher zwar voraussichtlich eine Signalwirkung für andere Behörden, es müsse aber von Fall zu Fall entschieden werden.

Donnerstag, 3. Januar 2013

Lokalpatriotismus in Berlin: Schwaben sollten sich integrieren

Nach den jüngsten Auslassungen von Wolfgang Thierse wird in Berlin erneut über die angebliche Schwaben-Schwemme diskutiert. Das Gemotze sagt mehr über die Hauptstädter, als über die Zugezogenen. Viele sehen es mittlerweile als persönliche Lebensleistung an, Einwohner Berlins zu sein. Und der Schwabe? Der wird zum Sündenbock für alles - vor allem für die Gentrifizierung.  
Von Roman Deininger und Judith Liere, SZ

Schwaben Berlin Thierse

Hauptstädtisches Hassobjekt: "Schwabenecken" liegen in der Auslage einer schwäbischen Bäckerei im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg.

Eine Zeitlang dachten die Schwaben in Berlin schon, sie könnten aufatmen. Fast hatten sie ausgedient als Feindbild für all das, was die Berliner an der Entwicklung ihrer Stadt nervt. Andere Gruppen rückten ins Motz- und Hasszentrum: Erst waren es Latte-Macchiato-Trinker, dann Mütter mit Kinderwagen, schließlich traf es Reisende mit Rollkoffern, und in letzter Zeit hasst man gerne junge feierfreudige Touristen oder Austauschstudenten aus Spanien.
 
Wolfgang Thierse hat sich also nicht als besonders trendbewusst erwiesen, als er mit einem Interview mit der Berliner Morgenpost die alte Schwaben-Hetze wieder auspackte. Den Müttern gegenüber zeigte sich der Bundestagsvizepräsident tolerant, als er gefragt wurde, was ihn in seiner Nachbarschaft, dem Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg, nerve. "Es sind andere Dinge, die das alltägliche Zusammenleben manchmal strapaziös machen", erklärte er. Was dem SPD-Politiker zusetzt: "Wenn ich beim Bäcker erfahre, dass es keine Schrippen gibt, sondern Wecken. Da sage ich: In Berlin sagt man Schrippen, daran könnten sich selbst Schwaben gewöhnen." Empörte Schwaben haben Thierse inzwischen darauf hingewiesen, dass es auch bei Stuttgarter Bäckern keine Wecken gibt, sondern Weckle. Thierse ficht das nicht an: "Ich wünsche mir, dass die Schwaben begreifen, dass sie jetzt in Berlin sind. Und nicht mehr in ihrer Kleinstadt mit Kehrwoche."

Die Schwaben gelten als Volksstamm, der für seinen Fleiß, seine Sparsamkeit und seinen Glauben mit immerwährendem Wohlstand belohnt wird, oder anders: der mit Spießigkeit geschlagen ist. Das verkennt zwar völlig, dass es in Teilen von Stuttgart inzwischen aussieht wie in Prenzlauer Berg. Trotzdem kriegen die Schwaben ihre Klischees nicht los.

Das Problem zeigt sich auch darin, dass der Schwabe auf Thierses tumbe Attacke schon wieder sehr schwäbisch reagiert. EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU) erinnert an die üppigen Geldströme gen Hauptstadt im Zuge des Länderfinanzausgleichs, Dirk Niebel von der FDP nennt Thierse einen "pietistischen Zickenbart", was deshalb seltsam wirkt, weil die Schwaben bekanntlich Weltmarktführer im Pietismus sind.

Wer hip sein will, muss sich ausgrenzen 

Doch nach der Toleranz, für die sich Berlin gerne rühmt, klingt auch Thierses Gestänker nicht. Je hipper die Stadt wird, desto größer wird der Wunsch derer nach Abgrenzung, die sie früh für sich entdeckt und erobert haben, gegenüber denjenigen, die in ihren Augen nur Mitläufer sind. Was hip war, wird Mainstream - dem szenigen Berlin geht es da nicht anders als jeder Subkultur. Menschen, die niemals sagen würden, dass sie stolz sind, Deutsche zu sein, pflegen einen aggressiven Lokalpatriotismus. "Ich bin ein Berliner", das darf praktisch nur noch sagen, wer mindestens in dritter Generation in der Stadt wohnt. Alle anderen: sind doof, anders, haben keine Ahnung und machen das kaputt, was mal war, und außerdem die Mieten teurer.

Dabei soll Theodor Fontane einst bemerkt haben: "Vor Gott sind eigentlich alle Menschen Berliner." Aber so aufgeklärt wie der liebe Gott sind Wolfgang Thierse und die, die es als ihre persönliche Lebensleistung ansehen, Einwohner der Hauptstadt zu sein, offenbar nicht. Der Schwabe wurde zum Sündenbock der Gentrifizierung.

Dabei kommt der größte Anteil der nach Berlin zuziehenden Deutschen gar nicht aus dem Südwesten, sondern aus Nordrhein-Westfalen und Brandenburg - die erkennt man aber nicht so hübsch einfach am Dialekt, die importieren auch nicht ihre Maultaschen und über die existieren auch nicht so viele nachplapperbare Klischees. Erst seit kurzem prangt ein neuer roter "Schwaben raus"-Schriftzug an der Ecke Husemannstraße/Kollwitzplatz; dass Thierse in der Nähe wohnt, ist gewiss nur Zufall. Thierse fand die Kritik an seinen Äußerungen übrigens heftig und die "organisierte Schwabenschaft" humorlos, wie er in mehreren Zeitungsinterviews kundtat.

Dennoch ist es wahrscheinlich, dass auch Thierse seinen Schwabenbegriff weit fasst - so weit, dass mindestens alles Süddeutsche, wahrscheinlich sogar alles Westdeutsche darunter fällt. Diese Pauschalität führte jetzt dazu, dass sich sogar die Badener mit den Schwaben solidarisieren, dem Vernehmen nach das erste Mal in der Geschichte der Menschheit.

Thierse auf Urlaub im Schwäbischen 

Im Grunde ist der Schwabe ohnehin ein sehr heimatverbundener Mensch, vielleicht auch aus praktischen Gründen: Ein eigenes Häusle mit Gärtle ist selbst in Prenzlberg nicht mehr günstig zu haben. Wenn Stuttgarter Geschäftsleute mit der Frühmaschine nach Berlin fliegen, was sich zur Wohlstandsmehrung ab und an nicht vermeiden lässt, freuen sie sich schon auf die Spätmaschine zurück. Und wenn einer von ihnen mal in Berlin übernachten muss, klopfen die anderen ihm tröstend auf die Schulter: Wird so schlimm nicht werden. Oder mit den Worten des nordrhein-westfälischen, mithin neutralen Kabarettisten Arnulf Rating: "Wer es in Stuttgart aushält, dem gefällt es überall."

Im Übrigen gibt es in Berlin auch mäßigende Stimmen. Der Regierende Bürgermeister hat schon vor einem Jahr entgegen seiner Art staatsmännisch erklärt, dass Schwaben "eine Bereicherung, aber keine Bedrohung" sind. Vielleicht war es Klaus Wowereit, vielleicht war es aber auch der immer lauter werdende Unmut der Gescholtenen, der Thierse nun, spät, zum Einlenken gebracht hat. "Wie schon im Vorjahr werde ich im Sommer wieder Urlaub in Baden-Württemberg machen", versprach er den Stuttgarter Nachrichten. Da werden sie sich aber freuen, die Schwaben.

Freitag, 30. März 2012

Kiezdeutsch rockt, ischwör!

Sprachbewahrer kämpfen verbissen gegen Kiezdeutsch. Der Schulhof-Slang verhunzt unsere Sprache, meinen sie. Alles Quatsch, sagt die Sprachforscherin Heike Wiese. Denn sie meint, Kiezdeutsch sei genauso ein Dialekt wie Bayerisch und Schwäbisch.
Ein Beitrag aus "Der Spiegel"

Kritische Jungs: Jugendliche unterschiedlicher Herkunft sprechen Kiezdeutsch
Kritische Jungs: Jugendliche unterschiedlicher Herkunft sprechen Kiezdeutsch
"Ein eigenartiges nicht Duden-kompatibles Gossen-Stakkato", stand schon in der Zeitung. Und: "Der Wortschatz dieser Straßensprache gleicht einer Notration." Kiezdeutsch gilt oft als falsches, reduziertes Deutsch ohne Grammatik. Dabei ist Kiezdeutsch ein neuer, komplexer Dialekt, der fest im System der deutschen Grammatik verankert ist. Kiezdeutsch weist - wie alle Dialekte - eine Reihe von Besonderheiten auf. Allerdings handelt es sich nicht um sprachliche Fehler, sondern um systematische Neuerungen in Grammatik, Wortschatz und Aussprache.

So wird aus "ich" beispielsweise "isch", was ähnlich im Rheinland vorkommt und im Berliner "nüscht". Wir finden neue Funktionswörter wie "lassma" und "musstu" ("lass uns mal" und "musst du") und Zusammenziehungen wie "ischwör" ("ich schwöre"), mit dem eine Aussage bekräftigt wird - ganz ähnlich, wie umgangssprachlich die Zusammenziehung "glaubich" ("glaube ich") eine Aussage abschwächt. Das Wort "so" wird nicht nur zum Vergleich verwendet, sondern auch zur Betonung ("Ich höre Alpa Gun, weil er so aus Schöneberg kommt."), so entsteht ein neues Funktionswort, das wir übrigens auch außerhalb von Kiezdeutsch finden. Das ist nicht schlampig formuliert, sondern hat System.

Dienstag, 27. März 2012

Türkisch für Anfänger - Eine etwas andere Olympiade

Ein hessischer Schüler rührt in Ankara ein Millionenpublikum mit einem Gedicht – in einer Sprache, die er nicht versteht. Hinter der Türkischolympiade steckt eine muslimische Massenbewegung - die von Fethullah Gülen inspirierte "Hizmet-Bewegung".
Von Martin Spiewak, die Zeit

Nico Weber bei der Türkischolympiade
Nico hat seinen Auftritt am zweiten Tag gegen Mittag, gleich nach einem sehr blonden Mädchen, das Norwegen vertritt. Emotional soll er sein, hat man ihm gesagt. Das mögen die Türken. Deshalb hebt Nico jetzt die rechte Hand ans Herz. Er geht in die Knie und deklamiert die Strophen, die er wieder und wieder geübt hat. Von Blumen ist darin die Rede und von der Sehnsucht nach Heimat, die man nur in der Fremde verspürt. Was er genau vorträgt, versteht Nico freilich nicht. Schließlich kann er bis auf ein paar Brocken gar kein Türkisch. Nur dass sein Gedicht die Herzen rühren kann, weiß der Zwölfjährige. Als er es das letzte Mal vor Publikum vortrug, flossen Tränen.

Ein hessischer Junge, der auf Türkisch Verse vorträgt, obwohl er die Sprache nicht spricht. Ein modernes Megaevent, das jedes Jahr in der Türkei Millionen Zuschauer mit traditionellen Gedichten und Volksliedern begeistert. Ein weltweites muslimisches Bildungsnetzwerk, das offiziell weder einen Namen noch eine Adresse besitzt: Es ist eine eigenartige Geschichte, die Nico Weber, einen Realschüler aus Deutschland, auf eine Bühne in die Türkei verschlagen hat. Ihm selbst kommt sie bis heute vor wie ein orientalisches Märchen.

Diese Geschichte spielt in Gießen und Stuttgart, in Ankara und ein bisschen auch im amerikanischen Pennsylvania. Hier lebt ein Korangelehrter namens Fethullah Gülen, der in seinen Schriften ein islamisches Gutmenschentum predigt – und die größte muslimische Bildungsbewegung der Welt begründet hat. Dazu gehört auch die »Internationale Türkischolympiade«, bei der Nico gegen Jugendliche aus der ganzen Welt antritt. Sie alle kämpfen um den Titel des besten Interpreten türkischen Kulturguts.

Dienstag, 17. Januar 2012

"Döner-Morde" ist Unwort des Jahres

Es war das Wort, das am häufigsten für den Negativpreis nominiert wurde: Eine Jury von Sprachkritikern hat "Döner-Morde" zum Unwort des Jahres 2011 gewählt. Der Begriff für die Attentate der Zwickauer Neonazi-Zelle verharmlose deren Verbrechen und sei höchst unangemessen, befanden die Juroren.
Ein Bericht aus dem Spiegel

Favoritensieg beim Unwort-Wettbewerb: 269-mal war der Begriff "Döner-Morde" von Bürgern als Vorschlag eingereicht worden; dem schloss sich nun die "Unwort"-Jury unter dem Vorsitz der Sprachwissenschaftlerin Nina Janich an: "Döner-Morde" ist das Unwort des Jahres 2011. Das teilte sie am Dienstag in Darmstadt mit. Das Schlagwort verharmlose die Mordserie an acht türkischstämmigen und einem griechischen Kleinunternehmer.

Die Kölner Keupstraße nach dem Anschlag 2004: "Döner-Morde" verharmlost Verbrechen
Die Kölner Keupstraße nach dem Anschlag 2004: "Döner-Morde" verharmlost Verbrechen

In einer beispiellosen Mordserie wurden zwischen 2000 und 2006 neun ausländische Kleinunternehmer mit derselben Pistole getötet. Da zwei der Opfer Döner verkauften, wurden die Verbrechen oft als "Döner-Morde" bezeichnet. Die Ermittlungen blieben erfolglos - bis die Tatwaffe in einem Versteck der rechtsextremen Zwickauer Zelle gefunden wurde.
Mit der sachlich unangemessenen, folkloristisch-stereotypen Etikettierung einer rechts-terroristischen Mordserie würden ganze Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt und die Opfer selbst in höchstem Maße diskriminiert, indem sie aufgrund ihrer Herkunft auf ein Imbissgericht reduziert werden, befand auch die Jury. Der Ausdruck stehe prototypisch dafür, dass die politische Dimension der Mordserie jahrelang verkannt oder willentlich ignoriert wurde.
Schon kurz nachdem das erste Opfer von der Zwickauer Terrorzelle im Jahr 2000 getötet wurde, kam der Begriff "Döner-Morde" auf. Lange Zeit wurde auch spekuliert, ob die Opfer selber in kriminelle Machenschaften verstrickt gewesen wären und es sich bei den Morden um Racheaktionen aus dem türkisch-nationalistischen Milieu handele.
Die Jury, zu der neben vier Sprachwissenschaftlern und einem Journalisten als jährlich wechselndes Mitglied diesmal Heiner Geißler zählte, kritisierte auch zwei weitere Begriffe: "Gutmensch" greife das ethische ideal des "guten Menschen" auf hämische Weise auf, um Andersdenkende pauschal als naiv abzuqualifizieren. Und "Marktkonforme Demokratie" stehe für eine höchst unzuverlässige Relativierung des Prinzips, demzufolge Demokratie eine absolute Norm ist, die mit dem Anspruch von Konformität mit welcher Instanz auch immer unvereinbar ist.
Das Jahr 2011 verzeichnete mit 2420 Einsendungen einen historischen Höchststand der Bürgerbeteiligung. Nina Janich trat zum ersten Mal als Jury-Sprecherin auf, nachdem der langjährige Jury-Sprecher Horst-Dieter Schlosser im vergangenen Jahr auf eigenen Wunsch ausgeschieden war.
Zum "Unwort des Jahres 2010" war "alternativlos" gewählt worden. 2009 hieß das Unwort des Jahres "betriebsratsverseucht", 2008 "notleidende Banken". Neben der unabhängigen, sprachkritischen Jury wählt die Gesellschaft für deutsche Sprache das "Wort des Jahres". 2011 ist es der Modebegriff "Stresstest".