Mittwoch, 20. Juni 2012

Der rassistische Turnschuh

Vom Style-Objekt zum Sklaven-Schuh: Adidas hat in den USA einen Skandal ausgelöst – wegen eines neuen Modells, das an die Unterdrückung der Schwarzen erinnert. Der Konzern entschuldigte sich und zog eilig Konsequenzen. 
Ein Bericht aus dem Handelsblatt

Adidas-Sneaker, Modell "JS Roundhouse Mid"
Der umstrittene Adidas-Sneaker, Modell "JS Roundhouse Mid"
Außerhalb Amerikas würden sich Menschen wohl vor allem folgende Frage stellen: Warum in aller Welt braucht ein Turnschuh eine Kette, mit der man ihn am Schienbein festbinden muss? Fliegt er sonst weg? Geschichtsbewusste Amerikaner stellen sich dagegen eine viel größere und ernstere Frage: Kann ein Turnschuh rassistisch sein?

Ja, lautet die Antwort, und sie hat dem Sportartikelhersteller Adidas in den USA ein PR-Debakel sondergleichen eingebrockt. Die Zutaten: ein deutscher Weltkonzern, ein irrlichternder Designer, ein dunkles Kapitel der US-Geschichte und eine hyper-erregbare Internet-Öffentlichkeit.

Es geht um das neue Turnschuh-Modell „JS Roundhouse Mid“ – lila Ungetüme mit einem Zusatzaccessoire: orangefarbene Plastik-Fußketten. Entworfen hat den Sneaker der angesagte US-Designer Jeremy Scott, und Adidas wollte das Modell im August auf den US-Markt bringen. „Verschärfe deinen Style“, hatten die Deutschen am Donnerstag vergangener Woche auf der Facebook-Seite geworben, „mit Sneakers so heiß, dass man sie am Knöchel festbinden muss“. Das Problem: Die Ketten ähneln fatal den Fußfesseln, mit denen in den USA früher Sklaven unterjocht wurden. Und so dauerte es nicht lange, bis sich Internet-Nutzer empörten und das Ganze von Tag zu Tag zu einem Shitstorm anwuchs. „Dumme Deutsche! Schaut in eure Vergangenheit“, schrieb eine Nutzerin auf der Facebook-Seite des Konzerns. „Ich werde nie wieder Adidas-Schuhe kaufen“, kündigte ein anderer an. Wieder einer schimpfte: „Ihr habt mein Bild von eurem Konzern komplett umgedreht. Ihr macht Euch Rassismus, Hass, Unterdrückung und das Böse zu eigen“.

Der Skandal nahm am Montag und Dienstag noch einmal richtig Fahrt auf, als US-Medien den Fall aufgriffen und breit berichteten. Auch Bürgerrechtler schalteten sich ein. „Der Versuch, mehr als 200 Jahre menschlicher Erniedrigung zu kommerzialisieren, ist entsetzlich und gefühllos“, schrieb der prominente schwarze Reverend Jesse Jacksonin der „Huffington Post“. Gerade Adidas als Ausrüster afroamerikanischer Sportler wie Wilma Rudolph und Mohammed Ali dürfe daraus keinen Profit schlagen. „Diese Sklaven-Schuhe sind abscheulich“. 

Während Adidas sein Modell anfangs noch verteidigte, folgte dann am Dienstag der totale Rückzug: Der Konzern will den „JS Roundhouse Mid“ nicht mehr auf den Markt bringen. Das Design sei lediglich Jeremy Scotts „extravaganter und einzigartiger“ Ansatz, Mode zu entwerfen, sagte am Abend eine Sprecherin in Herzogenaurach.

Es habe nichts mit Sklaverei zu tun. „Wir entschuldigen uns, wenn sich Menschen durch das Design beleidigt fühlen und ziehen unsere Pläne zurück“. Auch Designer Scott meldete sich via Twitter: Der Schuh sei keineswegs rassistisch gemeint. Vorbild sei die blaue Stoffpuppe „My Pet Monster“ gewesen, die orangefarbene Handfesseln trägt. „Ich habe mich in meiner Arbeit immer von Cartoons, Spielzeug und meiner Kindheit inspirieren lassen“.  Inzwischen ist das Modell von der Adidas-Homepage und der Facebook-Seite verschwunden. Dort habe es im Übrigen auch viele positive Reaktion gegeben, sagte die Adidas-Sprecherin. In der Tat nahmen viele Nutzer Adidas am Dienstag in Schutz. „Was ist rassistisch daran, wenn ein Kind orangefarbene Plastik-Schellen trägt?“, fragte ein User. Eine andere pflichtete bei: „Die Leute, die jetzt von Rassismus sprechen, sind genau die, die ihn am Leben halten“.  

Der Skandal reiht sich ein in eine Serie von Missgriffen großer Modekonzerne. Nike etwa musste sich im März für den neuen Schuh „Black and Tan“ entschuldigen, den der US-Konzern ausgerechnet zum irischen Feiertag St. Patrick`s Day vermarktete. „Black and Tans“ hießen die Milizen, die in den 20 Jahren brutal gegen irische Nationalisten vorgingen. Ende des Jahres hatte sich das Label Donna Karan ins Fettnäpfchen gesetzt, als es auf Plakaten neben Glamour-Models verarmte Haitianer abbildete. Im Januar zog Michael Kors mit Werbefotos Ärger auf sich, die reiche Weiße auf Safari zeigen, während ein schwarzer Guide als Staffage im Hintergrund verschwindet. „Traurigerweise sind Leute in der Modeindustrie nicht gerade für ihr historisches Wissen bekannt“, lästerte der Modeblog Manolos. Selten aber sei eine solche „aggressive Dummheit“ im Spiel wie beim aktuellen Fall.


 

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