Ein Bericht aus Focus Online
Mit den wirtschaftlichen Problemen entwickelt sich in Deutschland vermehrt eine Atmosphäre sozialer Kälte. Die Menschen haben zunehmend das Gefühl, dass die Politik die Probleme des Landes nicht mehr regeln kann. Das hat Konsequenzen für die Meinung über schwache Gruppen. Sie werden zuerst Opfer der negativen Beurteilung der Lage. Die Abwertung von Obdachlosen, Arbeitslosen und Behinderten nimmt zu, die Fremdenfeindlichkeit steigt erneut an. Besonders Besserverdienende grenzen sich vermehrt von ärmeren Mitgliedern der Gesellschaft ab. Engagement und Solidarität werden immer stärker danach bemessen, ob sie sich auch wirtschaftlich lohnen. Das sind zentrale Ergebnisse der Langzeitstudie „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ (GMF) des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld jetzt vorgelegt hat.
Hinter dem Konzept „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ steckt die Auffassung, dass Menschen andere Menschen abwerten, weil sie zu bestimmten Gruppen gehören, etwa, wenn sie aus einem anderen Land kommen, einer anderen Religion angehören, körperlich eingeschränkt, wirtschaftlich besser- oder schlechter gestellt sind. Die Bielefelder Forscher Wilhelm Heitmeyer und Andreas Zick gehen davon aus, dass Vorurteile gegenüber unterschiedlichen Gruppen ein Syndrom der „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ bilden, in dessen Zentrum die Grundidee herrscht, dass sich jemand als Mitglied einer bestimmten Gruppe aufwertet, indem er Angehörige anderer Gruppen als weniger wert ansieht.
Explosie Situation als Dauerzustand
Das Forschungsprojekt ist die weltweit größte Vorurteilsstudie, sowohl durch die zehnjährige Laufzeit als auch aufgrund der präzisen Unterscheidung verschiedener Vorurteile und ihrer Ursachen. Seit 2002 findet jährlich eine telefonische Befragung einer repräsentativen Auswahl der deutschen Bevölkerung statt. Im Mai und Juni 2011 wurden 2000 Personen zu ihren Ansichten und Einschätzungen befragt.
Insgesamt beschreiben die Forscher vom IKG das zurückliegende Jahrzehnt als „entsichert“, richtungslos und instabil. Der Verlust von Sicherheit sei demnach in allen zentralen Lebensbereichen erfahrbar: im politischen, sozialen, wirtschaftlichen und religiösen Bereich, ebenfalls im Bereich der Lebensstile. Der Zustand der Unsicherheit ist nach Ansicht der Forscher zur neuen Normalität geworden. Mit Blick auf die Folgen für Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit könne dieser Zustand als eine „explosive Situation als Dauerzustand“ (Wilhelm Heitmeyer) beschrieben werden. Ereignisse mit Signalwirkung für diese Veränderungen sind laut den Forschern der 11. September 2001 mit seinen Folgen für die Islamfeindlichkeit, die Einführung von Hartz IV im Jahr 2005 oder auch die Krisen seit 2008.
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