Diskriminiert unser Bildungssystem? Werden Kinder aus sozial schwächeren Familien strukturell benachteiligt? Ja, meint die Soziologin Jutta Allmendinger. Sie musste mit ansehen, wie ihr gut situiertes Patenkind
gefördert wurde, während Klassenkameraden der Aufstieg verwehrt blieb.
In einem Spiegel-Interview fordert Sie, Kinder nicht so früh auszusortieren.
Von Jan Friedmann, Der Spiegel
SPIEGEL: Als Forscherin befassen Sie sich mit dem gesamten
Bildungssystem, mit Politik und Strukturen. In Ihrem neuen Buch
behandeln Sie die großen Fragen anhand der Entwicklung von vier jungen
Menschen, Ihrem Patenkind und drei seiner Freunde. Warum?
Allmendinger: Die vier sind zusammen in den Kindergarten gegangen
und inzwischen volljährig. Damals waren sie die engsten Kameraden,
inzwischen haben sie sich nicht mehr viel zu sagen. Mich bedrückt, wie
weit sich die Lebenswege und die Schulabschlüsse auseinanderentwickelt
haben.
SPIEGEL: Ist das nicht normal?
Allmendinger: Ich habe die Bildungskarrieren dieser jungen
Menschen über Jahre hinweg begleitet, wir haben viel gemeinsam
unternommen. Deshalb glaube ich, dass ich ihre Potentiale gut
einschätzen kann. Im Rückblick muss ich feststellen, dass sich nur einer
der vier gemäß seinen Fähigkeiten entwickeln durfte. Das empfinde ich
als zutiefst ungerecht.
Sonntag, 30. September 2012
Samstag, 29. September 2012
Muhammed-Schmähvideo: Spot an!
Präsident Obama und Außenministerin Clinton haben in pakistanischen
Fernsehsendern einen Spot geschaltet, in dem sie sich von dem
Muhammed-Video distanzieren. Eine angemessen Reaktion?
Ein Kommentar von Christian Geyer, FAZ
In so einer manipulierten Situation, in der Provokateure sich hinter der Meinungsfreiheit verstecken und politische Extremisten sich als Religionskämpfer ausgeben - in diesem Schauspiel kann es nur darum gehen, mit praktischer Vernunft auf beiden Seiten deeskalierend zu wirken, statt einen blutigen Prinzipienstreit auszukämpfen. Das hat der Karikaturist Klaus Staeck, Präsident der Berliner Akademie der Künste, vor Augen, wenn er nach den jüngsten französischen Mohammed-Karikaturen davon abrät, sich jedes Recht, das einem zusteht, zu jeder Zeit herauszunehmen: „Es gibt keine Meinungsfreiheit ohne Verantwortung. Das müssen die Kollegen mit sich selbst abmachen, ob sie in dieser Situation noch einmal Öl ins Feuer gießen, wenn es schon brennt. Das muss man trotz Satire gut abwägen.“
Auch die Frage, ob das Muhammed-Video hierzulande öffentlich aufgeführt werden sollte, möchte Staeck situativ, nicht prinzipiell besprochen sehen (also nicht nach dem Motto: Meinungsfreiheit jetzt!, koste es, was es wolle). Im konkreten Fall, in dem die Gruppe Pro Deutschland eine gezielte Provokation probt, stelle sich vernünftigerweise die Frage so: „Will man dieser kleinen, rechten Splittergruppe die Freude gönnen, dass sie den Film öffentlich aufführen lassen kann? Da appelliere ich an die Kinobesitzer von Berlin, sich diesem Film zu verweigern.“
Auf deeskalierender Linie läuft auch der Spot, den Präsident Obama in pakistanischen Fernsehsendern geschaltet hat, in dem er selbst und Außenministerin Clinton sich von dem Muhammed-Video distanzieren: „Wir lehnen den Inhalt und die Botschaft absolut ab.“ Die volkspädagogische Pointe: Ein westlicher Filmemacher ist nicht der Westen, und nicht jeder Schmäh gehört verboten geschweige denn mit Gewalt beantwortet.
Das mag, millionenfach unters pakistanische Volk gebracht, eine Geste zur rechten Zeit sein; man wird sie von den jeweiligen islamischen Kreisen ebenso gut als Aufklärung wie als Propaganda hinstellen können. Dass der pakistanische Premier das Muhammed-Video kurz vor dem Freitagsgebet als „Angriff auf 1,5 Milliarden Muslime“ wertete, sieht eher nach Scharfmacherei aus, als solle eine mögliche besänftigende Wirkung des Obama-Spots im Keim erstickt werden.
Ein Kommentar von Christian Geyer, FAZ
In so einer manipulierten Situation, in der Provokateure sich hinter der Meinungsfreiheit verstecken und politische Extremisten sich als Religionskämpfer ausgeben - in diesem Schauspiel kann es nur darum gehen, mit praktischer Vernunft auf beiden Seiten deeskalierend zu wirken, statt einen blutigen Prinzipienstreit auszukämpfen. Das hat der Karikaturist Klaus Staeck, Präsident der Berliner Akademie der Künste, vor Augen, wenn er nach den jüngsten französischen Mohammed-Karikaturen davon abrät, sich jedes Recht, das einem zusteht, zu jeder Zeit herauszunehmen: „Es gibt keine Meinungsfreiheit ohne Verantwortung. Das müssen die Kollegen mit sich selbst abmachen, ob sie in dieser Situation noch einmal Öl ins Feuer gießen, wenn es schon brennt. Das muss man trotz Satire gut abwägen.“
Auch die Frage, ob das Muhammed-Video hierzulande öffentlich aufgeführt werden sollte, möchte Staeck situativ, nicht prinzipiell besprochen sehen (also nicht nach dem Motto: Meinungsfreiheit jetzt!, koste es, was es wolle). Im konkreten Fall, in dem die Gruppe Pro Deutschland eine gezielte Provokation probt, stelle sich vernünftigerweise die Frage so: „Will man dieser kleinen, rechten Splittergruppe die Freude gönnen, dass sie den Film öffentlich aufführen lassen kann? Da appelliere ich an die Kinobesitzer von Berlin, sich diesem Film zu verweigern.“
Auf deeskalierender Linie läuft auch der Spot, den Präsident Obama in pakistanischen Fernsehsendern geschaltet hat, in dem er selbst und Außenministerin Clinton sich von dem Muhammed-Video distanzieren: „Wir lehnen den Inhalt und die Botschaft absolut ab.“ Die volkspädagogische Pointe: Ein westlicher Filmemacher ist nicht der Westen, und nicht jeder Schmäh gehört verboten geschweige denn mit Gewalt beantwortet.
Das mag, millionenfach unters pakistanische Volk gebracht, eine Geste zur rechten Zeit sein; man wird sie von den jeweiligen islamischen Kreisen ebenso gut als Aufklärung wie als Propaganda hinstellen können. Dass der pakistanische Premier das Muhammed-Video kurz vor dem Freitagsgebet als „Angriff auf 1,5 Milliarden Muslime“ wertete, sieht eher nach Scharfmacherei aus, als solle eine mögliche besänftigende Wirkung des Obama-Spots im Keim erstickt werden.
Dienstag, 25. September 2012
Buschkowsky (SPD) polarisiert mit Integrationsschelte
Mit seinem neuen Buch "Neukölln ist überall" provoziert
der Bezirksbürgermeister Buschkowsky heftige Reaktionen. Er fordert mehr Härte gegen Integrationsunwillige, Fundamentalisten und
Straftäter. Manche sehen darin
die "bittere Realität in deutschen Ballungszentren" beschrieben, andere hingegen sprechen von Rassismus.
Von Roland Preuß, SZ
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sagte am Wochenende, Buschkowsky gebe in seinem Buch "Neukölln ist überall" nicht immer die richtigen Antworten. Die von ihm beschriebenen Verhältnisse ließen sich nicht eins zu eins auf ganz Deutschland projizieren, sagte die FDP-Politikerin der Welt am Sonntag. "Er stellt die richtigen Fragen, auch wenn er für die Antworten gelegentlich den großen Pinsel benutzt." Buschkowsky beschreibt in seinem am Freitag erschienenen Buch die gescheiterte Integration von Migranten aus Neuköllner Perspektive. Er fordert mehr Härte gegen Integrationsunwillige, religiöse Fundamentalisten und Straftäter.
Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir warf Buschkowsky vor, in der Sprache des Boulevards zu formulieren. "Hier finden sich die üblichen Verallgemeinerungen, die Geschichten über die angeblich gescheiterte Integration, die übliche Abrechnung mit der multikulturellen Gesellschaft", sagte Özdemir, der selbst türkische Wurzeln hat.
Rassismus oder Beschreibung der Realität?
Der Bezirksbürgermeister von Kreuzberg, Franz Schulz, wirft seinem Neuköllner Kollegen im Spiegel eine "alarmistische, tendenziell rechtspopulistische Grundhaltung" vor. "Aus Kreuzberger Sicht ist das Rassismus - und es spiegelt vor allem nicht unsere Lebenswirklichkeit." Laut Schulz gibt es in seinem Bezirk dank umfangreicher Hilfsangebote große Fortschritte bei den Deutschkenntnissen türkisch- und arabischstämmiger Kinder.
Eher zustimmend äußerte sich Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU). Schuld an den Neuköllner Zuständen seien nicht allein der Staat oder die Gesellschaft, sagte sie. "Diese Jugendlichen müssen auch aufsteigen wollen und müssen erkennen, dass sie dafür was tun müssen." Zu einem funktionierenden Miteinander gehöre zudem Respekt.
Klare Unterstützung kam von Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU). Was Buschkowsky beschreibe, sei bittere Realität in Teilen deutscher Ballungszentren und Großstädte. "Das geht so weit, wie Buschkowsky beschreibt, dass in bestimmten Vierteln ethnisch-religiöse Regeln staatliche Normen verdrängen."
Dienstag, 18. September 2012
Der hohe Preis der Meinungsfreiheit
Die heftigen Proteste gegen das Muhammed-Schmähvideo lassen
nicht nach. In Deutschland und den USA ist jetzt eine Diskussion darüber
entbrannt, wie sich die Verbreitung des Films unterbinden lässt.
Bundesinnenminister Friedrich (CSU) will unbedingt verhindern, dass
Rechtspopulisten den Film zeigen. Das Weiße Haus intervenierte sogar
bei Youtube - ein extrem ungewöhnlicher Schritt.
Von Peter Blechschmidt und Alexandra Borchardt, SZ
Die rechtspopulistische "Bürgerbewegung pro Deutschland" präsentiert es als einen Akt der Meinungsfreiheit. Sie will den islamfeindlichen Film "Innocence of Muslims" in Berlin zeigen, wie sie auf ihrer Internetseite ankündigte, auf der zunächst auch Auszüge aus dem Film abrufbar waren.
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sieht darin
einen Versuch, Islamisten auch in Deutschland zu provozieren. "Damit
gießen sie grob fahrlässig Öl ins Feuer", sagte Friedrich dem Spiegel.
"Dagegen muss man mit allen rechtlich zulässigen Mitteln vorgehen." Der
Bamberger Erzbischof Ludwig Schick unterstützte am Sonntag das Vorhaben
des Ministers.
Das ist leichter gesagt als getan. Die Meinungsfreiheit ist in Deutschland ein hohes Gut und wird vom Grundgesetz garantiert. Möglicherweise könnte man versuchen, der Gruppe wegen eines Verstoßes gegen die Völkerverständigung oder Verunglimpfung eines religiösen Bekenntnisses beizukommen, doch würden solche Schritte gerichtliche Auseinandersetzungen ungewissen Ausgangs bringen.
Von Peter Blechschmidt und Alexandra Borchardt, SZ
Die rechtspopulistische "Bürgerbewegung pro Deutschland" präsentiert es als einen Akt der Meinungsfreiheit. Sie will den islamfeindlichen Film "Innocence of Muslims" in Berlin zeigen, wie sie auf ihrer Internetseite ankündigte, auf der zunächst auch Auszüge aus dem Film abrufbar waren.
Antiamerikanische Proteste in der afghanischen Hauptstadt Kabul. (© REUTERS) |
Das ist leichter gesagt als getan. Die Meinungsfreiheit ist in Deutschland ein hohes Gut und wird vom Grundgesetz garantiert. Möglicherweise könnte man versuchen, der Gruppe wegen eines Verstoßes gegen die Völkerverständigung oder Verunglimpfung eines religiösen Bekenntnisses beizukommen, doch würden solche Schritte gerichtliche Auseinandersetzungen ungewissen Ausgangs bringen.
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