Kürzlich veröffentlichte das Ministerium für Familie eine Studie zur Zwangsverheiratung in Deutschland. Dass diese Studie ausgerechnet von der Familienministerin Schöder umgedeutet und fehlinterpretiert wird, stößt auf verheerende Kritik. Die Verfasser der Studie toben.
Ein Bericht aus der Süddeutschen Zeitung
Kristina Schröder und die Wissenschaft - das ist eine Geschichte mit vielen Stolperfallen. Meist solche, die sie sich selbst gestellt hat. Jetzt ist sie wieder in solch eine Falle hineingetappt. Und das auf eine Art und Weise, dass man langsam ernsthaft die Frage nach der Befähigung der jungen Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend stellen muss.
Es geht um eine Studie im Auftrag ihres Hauses, die sie Anfang November zum Anlass nahm, einen Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu schreiben. Einen Tag vor der offiziellen Veröffentlichung der Studie.
Das Thema ist heikel: Zwangsverheiratungen in Deutschland. Da können schnell antiislamische Ressentiments geschürt werden. Ein Umstand, der auch den Autoren der Studie bewusst war. Ministerin Schröder schien das jedoch herzlich egal zu sein. Ihr Aufsatz löste unter beteiligten Wissenschaftlern Empörung aus. Eine derart heftige Empörung, dass jetzt jene, die dem wissenschaftlichen Beirat des Schröder-Ministeriums angehören, mit einer schriftlichen Stellungnahme auf den Aufsatz der Ministerin reagiert haben.
Die Kritik der Forscher kann vernichtender kaum sein. Manches, was Schröder aus der Studie gezogen hätte, sei "schlichtweg falsch" und habe die Beiratsmitglieder "befremdet". Das fängt schon bei der Fallzahl an. Schröder schreibt in der FAZ: "3443 Fälle von Zwangsverheiratungen haben die Beratungsstellen in Deutschland für das Jahr 2008 registriert." In der Studie liest sich das ganz anders. Es seien "3443 Personen im Jahr 2008 in insgesamt 830 Beratungsstellen erfasst" worden. Davon seien "60 Prozent angedrohte und 40 Prozent vollzogene Zwangsverheiratungen".
Falsche Zahlen
Die Wissenschaftler waren jetzt "höchst erstaunt zu lesen", dass Schröder "angedrohte Straftaten mit tatsächlich stattgefundenen gleichgesetzt" habe. Das mag juristisch betrachtet angemessen sein. Im Sinne der Experten ist es nicht. Ebenso weise Schröder mit keinem Wort darauf hin, "dass diese Zahl Mehrfachnennungen beinhaltet und damit Fälle doppelt gezählt worden sein können". Darauf hätten vor allem "die Praktikerinnen im Beirat immer wieder hingewiesen". Was die Autoren aber besonders aufbringt, ist der islamophobe Unterton, den Schröder sich ihrem Eindruck zufolge in dem Aufsatz leistet. Und das angeblich auch noch untermauert von ihrer Studie.
Genau diesen Zungenschlag wollten die Wissenschaftler vermeiden, wie aus der Stellungnahme hervorgeht. Es sei von Beginn an Thema gewesen, "dass eine Erhebung der Religionszugehörigkeit Anlass für Missverständnisse, Fehldeutungen oder problematische Zuschreibungen werden könnte", heißt es darin. Darum hätten die Beiratsmitglieder gerne auf solche Daten verzichtet. Das Familienministerium soll jedoch darauf bestanden haben, die Religionszugehörigkeit zu thematisieren, um "für mögliche Nachfragen aus dem parlamentarischen Raum gewappnet zu sein".
In der Studie wird der Streit kurz erwähnt. Wegen der vielen Schwierigkeiten mit dem Begriff der Religionszugehörigkeit sei vereinbart worden, "dass eine Erhebung hier lediglich zu deskriptiven Zwecken erfolgen sollte". Dass solche Daten dann auch mit Vorsicht interpretiert werden müssen, kratzt Schröder nicht. Sie behauptet, dass "nach Angaben der Betroffenen 83,4 Prozent der Eltern Muslime seien". Und erweckt damit zumindest den Eindruck, damit sei ein Zusammenhang bewiesen.
"Diese Behauptung ist schlichtweg falsch", antworten die Wissenschaftler. Betroffene von Zwangsverheiratung seien "zu keiner Zeit im Rahmen dieser Studie direkt befragt worden". Befragt worden seien lediglich Mitarbeiter in Beratungsstellen nach ihrer mehr oder weniger subjektiven Einschätzung bezüglich ihrer Klienten. Belastbar seien diese Daten nicht. "Wer solche Differenzen als beiläufig abtut, spricht empirischen Studien implizit jeden Sinn ab. Man kann sich die Mühe dann lieber gleich sparen", schreiben die Autoren - und sprechen damit Schröder indirekt die Fähigkeit ab, mit wissenschaftlichen Studien adäquat umgehen zu können.
Schröder schreibt in ihrem FAZ-Artikel auch, dass "manche traditionellen Wurzeln endgültig durchtrennt werden" müssten. Die Forscher können sich nicht erklären, wie Schröder zu diesem Schluss kommen kann. Das "bleibt der Phantasie des Lesepublikums überlassen". Genauso wenig wie Religion sei bisher Tradition als entscheidendes Merkmal bei Zwangsehen festgemacht worden. Die Beiratsmitglieder Heiner Bielefeldt, Yildiz Demirer, Nivedita Prasad und Monika Schröttle sehen etwas anderes: Die Gefahr, dass durch "diese scharfe Formulierung antimuslimische Ressentiments Auftrieb erhalten, liegt jedenfalls auf der Hand".
Schröder schreibt dennoch über einen Zusammenhang zwischen der Religionszugehörigkeit und Zwangsverheiratungen. Der "religiöse Aspekt" dürfe "uns nicht kaltlassen", erklärt sie mit Pathos. Der Zusammenhang zwischen kulturellem Hintergrund und menschlichem Handeln sei eine soziologische Selbstverständlichkeit. Trotzdem werde dieser Zusammenhang "in Hinblick auf den Islam oft verleugnet oder wegdefiniert".
Eigenwillige und tendenziöse Darstellung
Die Forscher widersprechen vehement. Es sei überhaupt nicht erwiesen, "welchen Stellenwert Religion im Alltag bzw. im Handeln" von Familien gespielt habe, in denen Zwangsverheiratungen vorkommen. Es sei "durchaus möglich und wahrscheinlich", dass andere Faktoren als der religiöse Hintergrund zentrale Rollen spielen. Religion und Zwangsehe bildeten lediglich eine "Scheinkorrelation" ab. Das wäre so, als würde jemand behaupten, der christliche Glaube legitimiere den sexuellen Missbrauch an Kindern, weil es in kirchlichen Kreisen zu einer Häufung von Fällen gekommen sei.
Das Fazit der Beiratsmitglieder: Ihr Anspruch, mit der Studie keine Basis für "antiislamische Propaganda" bieten zu wollen, sei mit Schröders "sehr eigenwilliger bzw. tendenziöser Darstellung der Religionszugehörigkeit" kaum in Einklang zu bringen. Schröder gebe ihnen "das Gefühl, hinters Licht geführt worden zu sein".
Ein Ministeriumssprecher wies sämtliche Vorwürfe zurück. "Schon der Versuch einer Zwangsverheiratung ist strafbar, deshalb müssen die angedrohten und vollzogenen Zwangsverheiratungen selbstverständlich in einem traurigen Kontext gesehen werden", heißt es in einer schriftlichen Positionierung. Die Studie spreche nicht ohne Grund in ausdrücklicher Absprache mit den Wissenschaftlern von einer "Bruttogröße" und betone, dass Gewalt "nicht erst der Vollzug", sondern "schon die Androhung von Zwangsverheiratung ist". Das Ministerium gehe überdies davon aus, "dass die Wissenschaftler alle Daten und Zahlen selbstverständlich wissenschaftlich belastbar erhoben haben". Dass jetzt einige Beteiligte versuchten, bestimmte Forschungsergebnisse mit Hinweis auf Erhebungsmethoden zu relativieren und den Beratungsstellen "unsaubere Dokumentationen" vorzuwerfen, "wird der menschlichen Trägodie, die hinter jedem dieser Fälle steckt, leider nicht gerecht".
Monika Schröttle, eine der Beiratswissenschaftlerinnen und Expertin für Gewalt gegen Frauen, bleibt bei ihrer Kritik. Sie hält Schröder vor, ein Thema "prominent zu fahren", von dem niemand derzeit sagen könne, ob es überhaupt einen Zusammenhang gebe. Die aktuelle Studie jedenfalls halte keinen Beleg parat. "Es gibt momentan keinen Hinweis darauf, dass die Religion eine zentrale Rolle spielt", sagte sie zu sueddeutsche.de. Zwangsehen seien vielmehr als eine Facette der Gewalt gegen Frauen anzusehen. Und da seien meist die innerfamiliären Strukturen entscheidend. Schröttle weist darauf hin, dass selbst wenn die überwiegende Zahl der Ratsuchenden in Sachen Zwangsehe Muslime seien, dies gar nichts bedeute. Denn andersherum könne festgehalten werden, dass in den allermeisten muslimischen Familien keine Zwangsverheiratungen stattfinden.
Es ist nicht das erste Mal, dass Schröder für Kopfschütteln in der wissenschaftlichen Welt sorgt. Kurz nach ihrer Vereidigung Ende 2009 kam Kritik an ihrer Doktorarbeit auf, die manche Professoren als "klassische Typ-B-Arbeit" bezeichneten. Eine Arbeit also, deren Ergebnis - der Doktorgrad - in erster Linie der eigenen Karriere dienlich sei, aber wissenschaftlich von eher überschaubarem Wert. Im hessischen Landtagwahlkampf 2008 behauptete Schröder, es gebe eine Zunahme "deutschenfeindlicher Gewalt" von Ausländern. Auch damals fehlinterpretierte sie dafür wissenschaftliche Befunde, in diesem Fall jene des angesehenen Hannoveraner Kriminologen Christian Pfeiffer. Der bewertete Schröders Deutungen als Missbrauch seiner Arbeit. Es gebe keine Untersuchung, die belege, dass eine durch Hass auf Deutsche motivierte Gewalt zunehme.
Schröder, die damals noch Köhler hieß, klärte den Widerspruch auf ihre sehr eigenwillige Art auf. In einem Fernsehinterview sagte sie: "So ist das in der Wissenschaft. Jeder zieht seine eigenen Schlussfolgerungen."
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