Fethullah Gülen (Foto: Reuters) |
Montag, 23. Dezember 2013
Volksprediger Fethullah Gülen: Der mächtige Widersacher Erdoğans
Etwas ist Faul im Staate Türkei. Denn es rumort mal wieder am Bosporus, und zwar gewaltig. Der so genannte Machtkampf zwischen der Regierung Erdogan und der Hizmet-Bewegung um Fethullah Gülen mag für viele völlig überraschend sein, war der Hizmet-Bewegung doch jahrelang vorgeworfen, sich uneingeschränkt und vorbehaltslos hinter dem Premier zu stellen. Warum jetzt plötzlich die Aufregung? Antworten dazu sucht Tim Neshitov von der SZ.
Er lebt im Exil in Pennsylvania, hat mehr als 60 Bücher
geschrieben und steht im Verdacht, der "glorreichen osmanischen
Vergangenheit" hinterherzutrauern. Dennoch hat Fethullah Gülen Millionen
Anhänger. Diese könnten dem türkischen Ministerpräsidenten Erdoğan im
aktuellen Machtkampf das Leben schwer machen. Von Tim Neshitov In der Türkei tobt wieder ein Machtkampf, und viele Kommentatoren
sind sich einig, dass es diesmal Anhänger des charismatischen Predigers
Fethullah Gülen sind, die dem Premier Recep T. Erdoğan das Leben schwer
machen. Gülen hat über seinen Anwalt die Spekulationen zurückgewiesen,
er stecke hinter den Razzien gegen Erdoğan-Vertraute. Aber allein die
Tatsache, dass dem Kleriker dies zugetraut wird, zeugt von seinem
kolossalen Einfluss. Womit aber mobilisiert Gülen seine Anhänger, zu
denen Unternehmer und Lehrer zählen, Ärzte und Studenten, Popstars,
Autoren, Busfahrer, Fußballprofis?
Donnerstag, 22. August 2013
Studie: Menschenfeindlichkeit in München weit verbreitet
München gibt sich gerne tolerant und weltoffen. Doch wie sieht es in der Realität aus? Forscher des Institutes für Soziologie der
LMU sind in Zusammenarbeit mit der Fachstelle
gegen Rechtsextremismus der Frage nachgegangen, wie weltoffen Münchner wirklich sind, indem sie sie zu Ihren Vorurteilen gegenüber gestimmten Gruppen befragt haben. Das Ergebnis ist Besorgnis erregend. Mitarbeiter
Christian Ganser erklärt vorab die Ergebnisse.
Ein Interview aus der SZ
SZ.de: Herr Ganser, Sie haben die Menschenfeindlichkeit der Münchner untersucht. Was hat Sie überrascht?
Christian Ganser: Wie viele Münchner dem Islam feindlich gesinnt sind. Es gibt zu viele Muslime in Deutschland - dieser Aussage stimmen mehr als 20 Prozent zu. Fast die Hälfte der Münchner findet sogar, dass die muslimische Kultur nicht nach Deutschland passt. Das ist ein hoher Wert, der mich aber eher persönlich überrascht hat. Deutschlandweite Studien kommen zu einem ähnlichen Ergebnis.
Nun ist München eine relativ reiche Stadt mit einer geringen Arbeitslosigkeit ...
Das hat aber kaum Einfluss. Die Münchner sind etwas weniger ausländerfeindlich als der Rest der Deutschen. Ansonsten sind die Ergebnisse ähnlich. Es ist nicht eine bestimmte Gruppe, also beispielsweise nur die "Armen", die menschenfeindlich ist. Im Gegenteil: Eine solche Einstellung ist weitverbreitet. Ein wenig geht sie einher mit dem Gefühl, man habe politisch keinen Einfluss. Und Männer sind Obdachlosen und Muslimen etwas feindlicher gesinnt. Aber man kann nicht sagen, dass Muslimfeindlichkeit ein typisch männliches Problem wäre.
Arbeitslose, Homosexuelle, Obdachlose - wie kommen Münchner mit solchen Gruppen zurecht?
Insbesondere Langzeitarbeitslosen stehen viele Münchner feindselig gegenüber. Fast die Hälfte der Befragten zeigte sich skeptisch. Bei Obdachlosen sind es immerhin noch 23,5 Prozent. Dagegen haben sich nur 8,2 Prozent der Münchner frauenfeindlich geäußert. 9,1 Prozent ausländerfeindlich. Das sind natürlich immer noch zu viele. Auffällig ist: Feindseligkeit wird vor allem dann geäußert, wenn Themen salonfähig sind. Seit der Einführung von Hartz IV ging es beispielsweise viel um angeblich faule und arbeitsscheue Arbeitslose. Und über Muslime wird vor allem in Zusammenhang mit Terror berichtet.
Derzeit findet der NSU-Prozess in München statt und es wird vermehrt über Rechtsextremismus diskutiert. Haben solche aktuellen Entwicklungen Einfluss?
Das lässt sich kaum beantworten. Speziell auf Stadtebene gab es eine solche Untersuchung bislang nicht. Eine frühere Studie zur Menschenfeindlichkeit wurde beispielsweise nur in bestimmten Vierteln durchgeführt, in denen 2008 auffällig viele Menschen extrem rechts gewählt haben - in Aubing etwa. Das Beunruhigende: Die Ergebnisse unterscheiden sich nicht wirklich von unserer Studie. Menschenfeindlichkeit ist also kein Randphänomen, sondern durchaus weitverbreitet in München.
Was passiert nun mit den Ergebnissen Ihrer Studie?
Sie soll im Stadtrat diskutiert werden. Dann muss man sehen, was für politische Konsequenzen gezogen werden. Ich persönlich sehe Handlungsbedarf. Muslimfeindlichkeit ist kein Problem, das auf München beschränkt ist. Man kann also nicht nur die Stadtpolitik verantwortlich machen. Unsere Ergebnisse zeigen aber: Kontakt mindert die Ablehnung. Man könnte also folgern, dass man den Kontakt intensivieren muss - also etwa ein Begegnungszentrum in München einrichten.
Ein Interview aus der SZ
SZ.de: Herr Ganser, Sie haben die Menschenfeindlichkeit der Münchner untersucht. Was hat Sie überrascht?
Christian Ganser: Wie viele Münchner dem Islam feindlich gesinnt sind. Es gibt zu viele Muslime in Deutschland - dieser Aussage stimmen mehr als 20 Prozent zu. Fast die Hälfte der Münchner findet sogar, dass die muslimische Kultur nicht nach Deutschland passt. Das ist ein hoher Wert, der mich aber eher persönlich überrascht hat. Deutschlandweite Studien kommen zu einem ähnlichen Ergebnis.
Nun ist München eine relativ reiche Stadt mit einer geringen Arbeitslosigkeit ...
Das hat aber kaum Einfluss. Die Münchner sind etwas weniger ausländerfeindlich als der Rest der Deutschen. Ansonsten sind die Ergebnisse ähnlich. Es ist nicht eine bestimmte Gruppe, also beispielsweise nur die "Armen", die menschenfeindlich ist. Im Gegenteil: Eine solche Einstellung ist weitverbreitet. Ein wenig geht sie einher mit dem Gefühl, man habe politisch keinen Einfluss. Und Männer sind Obdachlosen und Muslimen etwas feindlicher gesinnt. Aber man kann nicht sagen, dass Muslimfeindlichkeit ein typisch männliches Problem wäre.
Arbeitslose, Homosexuelle, Obdachlose - wie kommen Münchner mit solchen Gruppen zurecht?
Insbesondere Langzeitarbeitslosen stehen viele Münchner feindselig gegenüber. Fast die Hälfte der Befragten zeigte sich skeptisch. Bei Obdachlosen sind es immerhin noch 23,5 Prozent. Dagegen haben sich nur 8,2 Prozent der Münchner frauenfeindlich geäußert. 9,1 Prozent ausländerfeindlich. Das sind natürlich immer noch zu viele. Auffällig ist: Feindseligkeit wird vor allem dann geäußert, wenn Themen salonfähig sind. Seit der Einführung von Hartz IV ging es beispielsweise viel um angeblich faule und arbeitsscheue Arbeitslose. Und über Muslime wird vor allem in Zusammenhang mit Terror berichtet.
Derzeit findet der NSU-Prozess in München statt und es wird vermehrt über Rechtsextremismus diskutiert. Haben solche aktuellen Entwicklungen Einfluss?
Das lässt sich kaum beantworten. Speziell auf Stadtebene gab es eine solche Untersuchung bislang nicht. Eine frühere Studie zur Menschenfeindlichkeit wurde beispielsweise nur in bestimmten Vierteln durchgeführt, in denen 2008 auffällig viele Menschen extrem rechts gewählt haben - in Aubing etwa. Das Beunruhigende: Die Ergebnisse unterscheiden sich nicht wirklich von unserer Studie. Menschenfeindlichkeit ist also kein Randphänomen, sondern durchaus weitverbreitet in München.
Was passiert nun mit den Ergebnissen Ihrer Studie?
Sie soll im Stadtrat diskutiert werden. Dann muss man sehen, was für politische Konsequenzen gezogen werden. Ich persönlich sehe Handlungsbedarf. Muslimfeindlichkeit ist kein Problem, das auf München beschränkt ist. Man kann also nicht nur die Stadtpolitik verantwortlich machen. Unsere Ergebnisse zeigen aber: Kontakt mindert die Ablehnung. Man könnte also folgern, dass man den Kontakt intensivieren muss - also etwa ein Begegnungszentrum in München einrichten.
Samstag, 17. August 2013
Gerichtsurteil: 62-jährige darf nicht zur Teilnahme am Integrationskurs gezwungen werden
Behörden dürfen Ausländer nicht in jedem Fall zur Teilnahme an einem Integrationskurs zwingen. Vielmehr muss die entsprechende Behörde die Lebensumstände der betroffenen Person beachten, so ein Urteil des Verwaltungsgerichtes. Damit gab es der Klage einer 62-jährigen Türkin statt, die zu einem Integrationskurs verdonnert wurde, obwohl ihre Kinder bestens
integriert sind und sie nie auf
Transferleistungen angewiesen war.
Ein Bericht aus "Spiegel Online"
Eine 62-jährige Analphabetin mit türkischem Pass darf nicht verpflichtet werden, an einem deutschen Integrationskurs teilzunehmen. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg stellte in einem jetzt veröffentlichten Urteil klar, dass Ausländerbehörden bei Integrationskursen einen Ermessensspielraum haben. Für die Frau, die unter einer Krankheit leide, sei die Teilnahme unzumutbar. Außerdem habe sie die Integration ihrer Kinder "besonders erfolgreich" gefördert, betonte das Gericht. Die Türkin hatte geklagt, weil die Ausländerbehörde des Karlsruher Landratsamtes sie zu einem Kurs verpflichtet hatte. Der Behörde zufolge war die Frau nachhaltig daran gehindert, "sich in Gesellschaft und Erwerbsleben zu integrieren".
Zunächst hatte das Verwaltungsgericht eine Klage der Frau abgewiesen, dagegen ging sie jetzt mit Erfolg vor. Die Hausfrau lebt seit 1981 in Deutschland mit ihrem türkischen Ehemann, der einen Lebensmittelladen betreibt. Alle sechs Kinder sind Deutsche und haben einen Schulabschluss, ein Sohn studiert Wirtschaftsinformatik. Es sei die ureigene Entscheidung der Klägerin, mit ihrer Familie nur Türkisch zu sprechen, so die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs.
Nach dem Aufenthaltsgesetz müssten Ausländer nur dann einen Integrationskurs machen, wenn sie in besonderer Weise integrationsbedürftig seien - dies treffe auf die Frau nicht zu. Das Gesetz zwinge die Behörden auch nicht, jemanden zur Kursteilnahme zu verpflichten. Das inzwischen rechtskräftige Urteil hat laut einem Gerichtssprecher zwar voraussichtlich eine Signalwirkung für andere Behörden, es müsse aber von Fall zu Fall entschieden werden.
Ein Bericht aus "Spiegel Online"
Eine 62-jährige Analphabetin mit türkischem Pass darf nicht verpflichtet werden, an einem deutschen Integrationskurs teilzunehmen. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg stellte in einem jetzt veröffentlichten Urteil klar, dass Ausländerbehörden bei Integrationskursen einen Ermessensspielraum haben. Für die Frau, die unter einer Krankheit leide, sei die Teilnahme unzumutbar. Außerdem habe sie die Integration ihrer Kinder "besonders erfolgreich" gefördert, betonte das Gericht. Die Türkin hatte geklagt, weil die Ausländerbehörde des Karlsruher Landratsamtes sie zu einem Kurs verpflichtet hatte. Der Behörde zufolge war die Frau nachhaltig daran gehindert, "sich in Gesellschaft und Erwerbsleben zu integrieren".
Zunächst hatte das Verwaltungsgericht eine Klage der Frau abgewiesen, dagegen ging sie jetzt mit Erfolg vor. Die Hausfrau lebt seit 1981 in Deutschland mit ihrem türkischen Ehemann, der einen Lebensmittelladen betreibt. Alle sechs Kinder sind Deutsche und haben einen Schulabschluss, ein Sohn studiert Wirtschaftsinformatik. Es sei die ureigene Entscheidung der Klägerin, mit ihrer Familie nur Türkisch zu sprechen, so die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs.
Nach dem Aufenthaltsgesetz müssten Ausländer nur dann einen Integrationskurs machen, wenn sie in besonderer Weise integrationsbedürftig seien - dies treffe auf die Frau nicht zu. Das Gesetz zwinge die Behörden auch nicht, jemanden zur Kursteilnahme zu verpflichten. Das inzwischen rechtskräftige Urteil hat laut einem Gerichtssprecher zwar voraussichtlich eine Signalwirkung für andere Behörden, es müsse aber von Fall zu Fall entschieden werden.
Freitag, 17. Mai 2013
Benz: Feindbild der Juden durch Muslime ersetzt
"Wirkliche
Kritik setzt Sachkenntnis voraus. Verallgemeinerung hingegen ist das Kochrezept
aller Vorurteile", sagte Prof. Dr. Wolfgang Benz in der Bibliothek des
Deutschen Bundestages, wo er aus seinem Buch "Die Feinde aus dem
Morgenland. Wie die Angst vor den Muslimen unsere Demokratie gefährdet"
las.
aus
www.bundestag.de
In seinem
Werk analysiert der renommierte Antisemitismusforscher aus der Perspektive
der Vorurteilsforschung Mechanismen der Ausgrenzung einer Minderheit durch die
Mehrheit. Eine zentrale These des Autors dabei lautet: Muslimfeindlichkeit
arbeitet mit ganz ähnlichen Argumentationsmustern und Stereotypen wie der
Antisemitismus.
Einteilung
in Gut und Böse
"Gemeinsam
ist diesen Vorurteilen die Einteilung in Gut und Böse sowie das Phänomen der
Ausgrenzung. Oftmals dient eine solche Denkweise der Anhebung des eigenen
Selbstbewusstseins, auch um soziale Frustrationen zu lindern", so Benz.
Zentrale Rollen bei der Diskriminierung von Fremden spielten vor allem Religion
und Kultur. Vergleiche man Antisemitismus mit Islamfeindlichkeit, so lasse sich
ein grundlegender Unterschied feststellen. Im Gegensatz zum ausgehenden 19.
Jahrhundert geht es heute nicht mehr um die Emanzipation der Juden, sondern um
die Integration der Muslime.
Bloggerszene
agiert besonders infam
Und diese,
so Benz, werde zusätzlich erschwert durch moderne Technologien wie das
Internet. Benz: "Dabei ist die Muslimfeindschaft in der Bloggerszene
besonders infam. Morde an Muslimen werden dort zum Teil freudig begrüßt."
Gleichzeitig, führte der Wissenschaftler weiter aus, hätten
Verschwörungstheorien Hochkonjunktur. Die mit Abstand beliebteste darunter sei
die von der Islamisierung Europas. "Wirklich gefährlich wird es allerdings
dort, wo Rechtspopulisten sich der Überfremdungsängste bei Teilen der
Bevölkerung bedienen und diese im gemeinsamen Schulterschluss etwa bei
Protestveranstaltungen gegen den Bau einer Moschee ausleben." Hier
entstünden neue Aktionsfelder zur Einbindung bürgerlicher Gruppen in rechte
Bewegungen.
Perfide
Gemeinsamkeit
"Als
Beispiel sei nur ,Pro Köln’ genannt", sagte Benz. Besonders bedenklich
hierbei sei der Umstand, dass der Übergang von Rechtspopulismus zu
Rechtsextremismus fließend sei. Die perfide Gemeinsamkeit zwischen
Antisemitismus und Muslimfeindschaft sei die Instrumentalisierung von
Feindbildern. In beiden Fällen werde mit Stereotypen hantiert. "Dabei ist
mir jedoch wichtig zu betonen, dass es mir bei der Beschreibung dieser Analogie
nicht darum geht, Juden und Muslime mit einander gleichzusetzen, sondern
Gemeinsamkeiten bei den Mustern ihrer Diskriminierung herauszuarbeiten",
betonte er.
Haltung
nicht auf Kleinbürgertum beschränkt
Derer gebe
es viele, sagte er weiter. "Vorurteile speisen sich stets aus
Imaginationen. Typisch ist auch, dass Personen, die Vorurteile pflegen, sich
lieber emotional ausagieren als einen intellektuellen Ansatz zu verfolgen. Zum
anderen beharren sie gerne auf ihren politischen Positionen und sind nicht
offen für neue Erkenntnisse."
Hervorzuheben
sei dabei jedoch, dass sich diese Haltung nicht etwa auf die Kreise des
Kleinbürgertums beschränke, sondern sich durch alle Schichten der Gesellschaft
ziehe. "Dabei treiben sie dieselben Sorgen um, wie damals die Antisemiten
im Dritten Reich: Etwa die Angst vor Überfremdung oder vor kultureller
Expansion."
Es gibt
keine Weltverschwörung der Muslime
Diese
Ängste, so Benz, sei für so manchen allerdings bares Geld wert: "Mit ihren
Verschwörungstheorien tingeln einige Autoren durch die Talkshows und bemühen
sich, als Experten wahrgenommen zu werden – allerdings als Experten für Dinge,
die nicht existieren: Es gibt schlicht keine Weltverschwörung der Muslime, wie
sie mancher dieser zweifelhaften Autoren ausgemacht haben will.
Nichtsdestotrotz verkaufen sich solche Thesen glänzend."
Die
Extremismusforschung, so das Fazit von Benz an diesem Abend, komme zu einem
eindeutigen Schluss: "Das Feindbild der Juden wird heute durch das
Feindbild der Muslime ersetzt." Wieder gehe es um die Ausgrenzung einer
Minderheit. "Höchste Zeit", so der Appell des Autors, "diese
Diskriminierungsmechanismen zu verstehen und schließlich zu verhindern."
Die Deutschen müssten endlich aus ihrer Geschichte lernen. "Denn was ist
die Kultur der Erinnerung, auf die wir in Deutschland so stolz sind, wert, wenn
wir die Diskriminierung der Juden heute bei einer anderen Gruppe
wiederholen?"
Donnerstag, 3. Januar 2013
Lokalpatriotismus in Berlin: Schwaben sollten sich integrieren
Nach den jüngsten Auslassungen von Wolfgang Thierse wird in Berlin erneut über die angebliche Schwaben-Schwemme
diskutiert. Das Gemotze sagt mehr über die Hauptstädter, als über die
Zugezogenen. Viele sehen es mittlerweile als persönliche Lebensleistung
an, Einwohner Berlins zu sein. Und der Schwabe? Der wird zum Sündenbock
für alles - vor allem für die Gentrifizierung.
Von Roman Deininger und Judith Liere, SZ
Eine Zeitlang dachten die Schwaben in Berlin schon, sie könnten
aufatmen. Fast hatten sie ausgedient als Feindbild für all das, was die
Berliner an der Entwicklung ihrer Stadt nervt. Andere Gruppen rückten
ins Motz- und Hasszentrum: Erst waren es Latte-Macchiato-Trinker, dann
Mütter mit Kinderwagen, schließlich traf es Reisende mit Rollkoffern,
und in letzter Zeit hasst man gerne junge feierfreudige Touristen oder
Austauschstudenten aus Spanien. Wolfgang Thierse hat sich also nicht als besonders trendbewusst erwiesen, als er mit einem Interview mit der Berliner Morgenpost die alte Schwaben-Hetze wieder auspackte.
Den Müttern gegenüber zeigte sich der Bundestagsvizepräsident tolerant,
als er gefragt wurde, was ihn in seiner Nachbarschaft, dem
Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg, nerve. "Es sind andere Dinge, die das
alltägliche Zusammenleben manchmal strapaziös machen", erklärte er. Was dem SPD-Politiker zusetzt: "Wenn ich beim Bäcker erfahre,
dass es keine Schrippen gibt, sondern Wecken. Da sage ich: In Berlin
sagt man Schrippen, daran könnten sich selbst Schwaben gewöhnen."
Empörte Schwaben haben Thierse inzwischen darauf hingewiesen, dass es
auch bei Stuttgarter Bäckern keine Wecken gibt, sondern Weckle. Thierse
ficht das nicht an: "Ich wünsche mir, dass die Schwaben begreifen, dass
sie jetzt in Berlin sind. Und nicht mehr in ihrer Kleinstadt
mit Kehrwoche."
Die Schwaben gelten als Volksstamm, der für seinen Fleiß, seine Sparsamkeit und seinen Glauben mit immerwährendem Wohlstand belohnt wird, oder anders: der mit Spießigkeit geschlagen ist. Das verkennt zwar völlig, dass es in Teilen von Stuttgart inzwischen aussieht wie in Prenzlauer Berg. Trotzdem kriegen die Schwaben ihre Klischees nicht los.
Das Problem zeigt sich auch darin, dass der Schwabe auf Thierses tumbe Attacke schon wieder sehr schwäbisch reagiert. EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU) erinnert an die üppigen Geldströme gen Hauptstadt im Zuge des Länderfinanzausgleichs, Dirk Niebel von der FDP nennt Thierse einen "pietistischen Zickenbart", was deshalb seltsam wirkt, weil die Schwaben bekanntlich Weltmarktführer im Pietismus sind.
Wer hip sein will, muss sich ausgrenzen
Doch nach der Toleranz, für die sich Berlin gerne rühmt, klingt auch Thierses Gestänker nicht. Je hipper die Stadt wird, desto größer wird der Wunsch derer nach Abgrenzung, die sie früh für sich entdeckt und erobert haben, gegenüber denjenigen, die in ihren Augen nur Mitläufer sind. Was hip war, wird Mainstream - dem szenigen Berlin geht es da nicht anders als jeder Subkultur. Menschen, die niemals sagen würden, dass sie stolz sind, Deutsche zu sein, pflegen einen aggressiven Lokalpatriotismus. "Ich bin ein Berliner", das darf praktisch nur noch sagen, wer mindestens in dritter Generation in der Stadt wohnt. Alle anderen: sind doof, anders, haben keine Ahnung und machen das kaputt, was mal war, und außerdem die Mieten teurer.
Dabei soll Theodor Fontane einst bemerkt haben: "Vor Gott sind eigentlich alle Menschen Berliner." Aber so aufgeklärt wie der liebe Gott sind Wolfgang Thierse und die, die es als ihre persönliche Lebensleistung ansehen, Einwohner der Hauptstadt zu sein, offenbar nicht. Der Schwabe wurde zum Sündenbock der Gentrifizierung.
Dabei kommt der größte Anteil der nach Berlin zuziehenden Deutschen gar nicht aus dem Südwesten, sondern aus Nordrhein-Westfalen und Brandenburg - die erkennt man aber nicht so hübsch einfach am Dialekt, die importieren auch nicht ihre Maultaschen und über die existieren auch nicht so viele nachplapperbare Klischees. Erst seit kurzem prangt ein neuer roter "Schwaben raus"-Schriftzug an der Ecke Husemannstraße/Kollwitzplatz; dass Thierse in der Nähe wohnt, ist gewiss nur Zufall. Thierse fand die Kritik an seinen Äußerungen übrigens heftig und die "organisierte Schwabenschaft" humorlos, wie er in mehreren Zeitungsinterviews kundtat.
Dennoch ist es wahrscheinlich, dass auch Thierse seinen Schwabenbegriff weit fasst - so weit, dass mindestens alles Süddeutsche, wahrscheinlich sogar alles Westdeutsche darunter fällt. Diese Pauschalität führte jetzt dazu, dass sich sogar die Badener mit den Schwaben solidarisieren, dem Vernehmen nach das erste Mal in der Geschichte der Menschheit.
Thierse auf Urlaub im Schwäbischen
Im Grunde ist der Schwabe ohnehin ein sehr heimatverbundener Mensch, vielleicht auch aus praktischen Gründen: Ein eigenes Häusle mit Gärtle ist selbst in Prenzlberg nicht mehr günstig zu haben. Wenn Stuttgarter Geschäftsleute mit der Frühmaschine nach Berlin fliegen, was sich zur Wohlstandsmehrung ab und an nicht vermeiden lässt, freuen sie sich schon auf die Spätmaschine zurück. Und wenn einer von ihnen mal in Berlin übernachten muss, klopfen die anderen ihm tröstend auf die Schulter: Wird so schlimm nicht werden. Oder mit den Worten des nordrhein-westfälischen, mithin neutralen Kabarettisten Arnulf Rating: "Wer es in Stuttgart aushält, dem gefällt es überall."
Im Übrigen gibt es in Berlin auch mäßigende Stimmen. Der Regierende Bürgermeister hat schon vor einem Jahr entgegen seiner Art staatsmännisch erklärt, dass Schwaben "eine Bereicherung, aber keine Bedrohung" sind. Vielleicht war es Klaus Wowereit, vielleicht war es aber auch der immer lauter werdende Unmut der Gescholtenen, der Thierse nun, spät, zum Einlenken gebracht hat. "Wie schon im Vorjahr werde ich im Sommer wieder Urlaub in Baden-Württemberg machen", versprach er den Stuttgarter Nachrichten. Da werden sie sich aber freuen, die Schwaben.
Von Roman Deininger und Judith Liere, SZ
Hauptstädtisches Hassobjekt: "Schwabenecken" liegen in der Auslage einer schwäbischen Bäckerei im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. |
Die Schwaben gelten als Volksstamm, der für seinen Fleiß, seine Sparsamkeit und seinen Glauben mit immerwährendem Wohlstand belohnt wird, oder anders: der mit Spießigkeit geschlagen ist. Das verkennt zwar völlig, dass es in Teilen von Stuttgart inzwischen aussieht wie in Prenzlauer Berg. Trotzdem kriegen die Schwaben ihre Klischees nicht los.
Das Problem zeigt sich auch darin, dass der Schwabe auf Thierses tumbe Attacke schon wieder sehr schwäbisch reagiert. EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU) erinnert an die üppigen Geldströme gen Hauptstadt im Zuge des Länderfinanzausgleichs, Dirk Niebel von der FDP nennt Thierse einen "pietistischen Zickenbart", was deshalb seltsam wirkt, weil die Schwaben bekanntlich Weltmarktführer im Pietismus sind.
Wer hip sein will, muss sich ausgrenzen
Doch nach der Toleranz, für die sich Berlin gerne rühmt, klingt auch Thierses Gestänker nicht. Je hipper die Stadt wird, desto größer wird der Wunsch derer nach Abgrenzung, die sie früh für sich entdeckt und erobert haben, gegenüber denjenigen, die in ihren Augen nur Mitläufer sind. Was hip war, wird Mainstream - dem szenigen Berlin geht es da nicht anders als jeder Subkultur. Menschen, die niemals sagen würden, dass sie stolz sind, Deutsche zu sein, pflegen einen aggressiven Lokalpatriotismus. "Ich bin ein Berliner", das darf praktisch nur noch sagen, wer mindestens in dritter Generation in der Stadt wohnt. Alle anderen: sind doof, anders, haben keine Ahnung und machen das kaputt, was mal war, und außerdem die Mieten teurer.
Dabei soll Theodor Fontane einst bemerkt haben: "Vor Gott sind eigentlich alle Menschen Berliner." Aber so aufgeklärt wie der liebe Gott sind Wolfgang Thierse und die, die es als ihre persönliche Lebensleistung ansehen, Einwohner der Hauptstadt zu sein, offenbar nicht. Der Schwabe wurde zum Sündenbock der Gentrifizierung.
Dabei kommt der größte Anteil der nach Berlin zuziehenden Deutschen gar nicht aus dem Südwesten, sondern aus Nordrhein-Westfalen und Brandenburg - die erkennt man aber nicht so hübsch einfach am Dialekt, die importieren auch nicht ihre Maultaschen und über die existieren auch nicht so viele nachplapperbare Klischees. Erst seit kurzem prangt ein neuer roter "Schwaben raus"-Schriftzug an der Ecke Husemannstraße/Kollwitzplatz; dass Thierse in der Nähe wohnt, ist gewiss nur Zufall. Thierse fand die Kritik an seinen Äußerungen übrigens heftig und die "organisierte Schwabenschaft" humorlos, wie er in mehreren Zeitungsinterviews kundtat.
Dennoch ist es wahrscheinlich, dass auch Thierse seinen Schwabenbegriff weit fasst - so weit, dass mindestens alles Süddeutsche, wahrscheinlich sogar alles Westdeutsche darunter fällt. Diese Pauschalität führte jetzt dazu, dass sich sogar die Badener mit den Schwaben solidarisieren, dem Vernehmen nach das erste Mal in der Geschichte der Menschheit.
Thierse auf Urlaub im Schwäbischen
Im Grunde ist der Schwabe ohnehin ein sehr heimatverbundener Mensch, vielleicht auch aus praktischen Gründen: Ein eigenes Häusle mit Gärtle ist selbst in Prenzlberg nicht mehr günstig zu haben. Wenn Stuttgarter Geschäftsleute mit der Frühmaschine nach Berlin fliegen, was sich zur Wohlstandsmehrung ab und an nicht vermeiden lässt, freuen sie sich schon auf die Spätmaschine zurück. Und wenn einer von ihnen mal in Berlin übernachten muss, klopfen die anderen ihm tröstend auf die Schulter: Wird so schlimm nicht werden. Oder mit den Worten des nordrhein-westfälischen, mithin neutralen Kabarettisten Arnulf Rating: "Wer es in Stuttgart aushält, dem gefällt es überall."
Im Übrigen gibt es in Berlin auch mäßigende Stimmen. Der Regierende Bürgermeister hat schon vor einem Jahr entgegen seiner Art staatsmännisch erklärt, dass Schwaben "eine Bereicherung, aber keine Bedrohung" sind. Vielleicht war es Klaus Wowereit, vielleicht war es aber auch der immer lauter werdende Unmut der Gescholtenen, der Thierse nun, spät, zum Einlenken gebracht hat. "Wie schon im Vorjahr werde ich im Sommer wieder Urlaub in Baden-Württemberg machen", versprach er den Stuttgarter Nachrichten. Da werden sie sich aber freuen, die Schwaben.
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