Sprachbewahrer
kämpfen verbissen gegen Kiezdeutsch. Der Schulhof-Slang verhunzt unsere
Sprache, meinen sie. Alles Quatsch, sagt die Sprachforscherin Heike Wiese. Denn sie meint, Kiezdeutsch sei genauso ein Dialekt wie Bayerisch und Schwäbisch.
Ein Beitrag aus "Der Spiegel"
Kritische Jungs: Jugendliche unterschiedlicher Herkunft sprechen Kiezdeutsch |
"Ein eigenartiges nicht Duden-kompatibles Gossen-Stakkato", stand schon
in der Zeitung. Und: "Der Wortschatz dieser Straßensprache gleicht
einer Notration." Kiezdeutsch gilt oft als falsches, reduziertes
Deutsch ohne Grammatik. Dabei ist Kiezdeutsch ein neuer, komplexer
Dialekt, der fest im System der deutschen Grammatik verankert ist. Kiezdeutsch
weist - wie alle Dialekte - eine Reihe von Besonderheiten auf.
Allerdings handelt es sich nicht um sprachliche Fehler, sondern um
systematische Neuerungen in Grammatik, Wortschatz und Aussprache.
So wird aus "ich" beispielsweise "isch", was ähnlich im Rheinland vorkommt und im Berliner "nüscht". Wir finden neue Funktionswörter wie "lassma" und "musstu" ("lass uns mal" und "musst du") und Zusammenziehungen wie "ischwör" ("ich schwöre"), mit dem eine Aussage bekräftigt wird - ganz ähnlich, wie umgangssprachlich die Zusammenziehung "glaubich" ("glaube ich") eine Aussage abschwächt. Das Wort "so" wird nicht nur zum Vergleich verwendet, sondern auch zur Betonung ("Ich höre Alpa Gun, weil er so aus Schöneberg kommt."), so entsteht ein neues Funktionswort, das wir übrigens auch außerhalb von Kiezdeutsch finden. Das ist nicht schlampig formuliert, sondern hat System.