Eine kritische Analyse
Nun ist es also wieder mal soweit. Wieder einmal ein „Muslim
bashing“ von einem wohl etwas unbedachten, unerfahrenen, jungen Journalisten,
der sich mit Fethullah Gülen und der ihm zugeschriebenen Bewegung befasst.
Diesmal mussten halt die Gülenisten für die Bestätigung gängiger Vorurteile gegenüber
diversen religiösen und kulturellen Einflüssen mit orientalischem Ursprung herhalten.
Selten liest man in den deutschen Leitmedien einen derart
voreingenommenen und undifferenzierten Artikel. Sich augenscheinlich der
journalistisch unbedenklicher Neutralität verpflichtet, lässt der Autor auf
vier Seiten zwar sowohl Befürworter als auch Kritiker der Bewegung zu Wort
kommen, bedient dabei jedoch Zeile für Zeile alle gängigen Vorurteile gegenüber
Muslimen im allgemeinen und der Gülen-Bewegung im speziellen.
Schon der Titel verheißt nichts Gutes: da wird also ein
islamischer Gelehrter, der sich wie kaum ein anderer für den Dialog und für die
Bildung einsetzt, begrifflich in die Nähe eines italienischen Mafiosi gestellt; Francis Ford Coppola lässt grüßen. Das
sich Gülen mehrfach, glaubhaft und entschieden gegen jede Art von Gewalt gestellt
und mit seiner Aussage „Ein Muslim kann kein Terrorist, ein Terrorist kann kein
Muslim sein“ einen einmaligen Vorstoß nach den 9/11-Anschägen gemacht hat, wird
kurzerhand verschwiegen. Wen kümmert es?
Der Text wirkt wie ein Sammelsurium von bereits mehrfach
vorgetragenen gängigen Anschuldigungen gegenüber Gülen. Nach neuen
Erkenntnissen sucht man vergebens, geschweige denn von Beweisen für die vielen Vorwürfe.
Viele der vermeintlichen Anschuldigungen lassen sich mit einem simplen „so
what“ beantworten. Dass der Bewegung mehrere Medienorgane gehören, dass sie
Schulen gründen und in Bildung investieren, sich die Anhänger in WG’s treffen
-wohlgemerkt ganz ohne Alkoholkonsum und stickt getrennt nach Geschlechtern-
liest sich wie eine Aufzählung von Banalitäten.
Bei „echten“ Vorwürfen jedoch horcht man auf. Gülen wird
wahlweise mit Chomeini, Scientology oder mit Opus Dei verglichen. Eine nähere
Erläuterung, wie man zu diesen Vergleichen kommt? Fehlanzeige! Schließlich hat
man ja nur zitiert. Aussteiger hätten es schwer und würden sich um ihre
Gesundheit und Familie sorgen. Das dieser Fall -eine wie auch immer geartete
Gewalt gegenüber Aussteigern- nie und nirgends in der Welt jemals stattgefunden
hat, ist für den Schreiber nicht von Interesse. Der Autor macht sich an dieser
Stelle lächerlich und unglaubwürdig zugleich, wenn er behauptet, der angebliche
Aussteiger wäre aufgrund seiner Faszination von Gülens Frömmigkeit in die WG’s der
Bewegung eingetreten, um danach entsetzt festzustellen, dass er dort keine Frauen
und Alkohol findet. Es sollte ihm in den Lichthäusern aufgezwungen sein, Ungläubige
als Freunde zu finden. Dumm nur, dass er 2 Zeilen weiter behauptet, dass er
kaum Freunde außerhalb der Bewegung haben durfte. Dass bei derartigen
Widersprüchen überhaupt kein Zweifel an der Richtigkeit beim Autor aufkam, sagt
einiges aus.
Auch die Mär von den undurchsichtigen Finanzen darf in einem
solchen Artikel natürlich nicht fehlen. Das alle Gülen-Institutionen
eingetragene, meist gemeinnützige Vereine sind, dass Schulen, Verbände und
Vereine den in Deutschland gängigen Kontrollen der jeweiligen Behörden -auch
dem Finanzamt- unterliegen und sich bis dato nichts zu Schulden haben kommen
lassen, spielt für SPIEGEL keine Rolle. Da passt es auch ins Bild, dass das
längst widerlegte, weil völlig aus dem Zusammenhang gerissene Zitat von Gülen
über Militärangriffe gegen kurdische Terroristen mantrahaft wiederholt wird.
De
facto falsch ist auch die Behauptung, Gülen erhielte mit Cemalettin Kaplan, dem
einstigen „Kalifen von Köln“, gemeinsam Unterricht. Wer auch immer dem Autor
diesen Floh ins Ohr gesetzt hat; eine einfache Google-Recherche hätte gereicht,
um zu erfahren, dass dies nicht stimmen kann. Alleine schon der
Altersunterschied von 15 Jahren hätten ausreichen müssen, um den Verfasser
stutzig zu machen. Aber nein, Hauptsache die Namen Gülen und Kaplan tauchen in
einem Satz auf!
Wie groß die Aversion und das Misstrauen des Autors gegenüber
der Bewegung sind, zeigt sich bei seiner Beschreibung des Büros eines Dialogzentrums
in Berlin. Weil er im Bücherregal das „Tagebuch der Anne Frank“ entdeckt,
glaubt er zu wissen, dass dies nur ein Zeichen vorgetäuschter Trauer um die
Toten des Holocausts sei. Soweit ist man also schon gekommen in Deutschland,
dass sich Migranten von Einheimischen Heuchelei in Sachen Holocaust vorwerfen
lassen müssen, knapp 70 Jahre nach dem nationalsozialistischen Völkermord an
Millionen von Juden.
Neue Einblicke in die Gülen-Bewegung erhält man mit diesem
reißerischen Artikel mit Sicherheit nicht, wohl aber einen Einblick in die
verbohrte Innenwelt des Schreiberlings Maximilian Popp.