Freitag, 27. Januar 2012

Kardinal Marx: Muslime gehören jetzt zu uns

Die Debatte nach Wullfs Rede zur Einheitsfeier und seine Äußerungen zum Islam gehen weiter. Der Münchner Kardinal Reinhard Marx hat nun vor einer Ausgrenzung der muslimischen Zuwanderer gewarnt. "Wir müssen ihnen helfen, hier eine Heimat zu finden", forderte der Erzbischof von München und Freising am Mittwochabend in Berlin.
Ein Berich aus RP Online 


Kardinal Marx: "Die Menschen, die daran glauben, gehören jetzt zu uns." Foto: dpa, Frank Leonhardt
Kardinal Marx: "Die Menschen, die daran glauben, gehören jetzt zu uns.

Zwar gehöre der Islam nicht in dem Maße zur Geschichte Europas wie das Christentum, sagte er in Anspielung auf die umstrittene Äußerung von Bundespräsident Christian Wulff, der Islam gehöre inzwischen auch zu Deutschland. "Aber die Menschen, die daran glauben, gehören jetzt zu uns", betonte der Kardinal bei einer Veranstaltung in der Vertretung Bayerns in der Bundeshauptstadt.

Marx rief zum Dialog mit dem Islam auf. Dies könne "die Muslime kräftigen, die sich unserer Kultur und unseren Werten anpassen wollen". Ein solcher Dialog dürfe aber nicht bedeuten, "die christliche Prägung Europas verächtlich beiseite zu schieben". So sei es nicht erforderlich, ein Kreuz aus einem Kindergarten zu entfernen, weil dort auch muslimische Kinder betreut würden.

Finanzkrise wäre vermeidbar gewesen

Die Finanzkrise wäre nach Auffassung von Kardinal Marx bei Beachtung der christlichen Soziallehre vermeidbar gewesen. Deren Grundprinzipien seien kapitalismuskritisch, sagte er. Der "Casino-Kapitalismus", der nur um die Kapitalrendite kreise, habe sich als nicht zukunftsweisend erwiesen. Die Soziallehre der Kirchen könne mit ihrer Hochschätzung der menschlichen Arbeit deshalb eine "Quelle der Erneuerung" sein, betonte Marx, der früher Professor für Christliche Gesellschaftslehre war.

Marx sprach bei einer Veranstaltung in der Vertretung Bayerns in der Bundeshauptstadt zum Thema "Warum unsere Gesellschaft das Zeugnis der Christen braucht".

Dienstag, 17. Januar 2012

"Döner-Morde" ist Unwort des Jahres

Es war das Wort, das am häufigsten für den Negativpreis nominiert wurde: Eine Jury von Sprachkritikern hat "Döner-Morde" zum Unwort des Jahres 2011 gewählt. Der Begriff für die Attentate der Zwickauer Neonazi-Zelle verharmlose deren Verbrechen und sei höchst unangemessen, befanden die Juroren.
Ein Bericht aus dem Spiegel

Favoritensieg beim Unwort-Wettbewerb: 269-mal war der Begriff "Döner-Morde" von Bürgern als Vorschlag eingereicht worden; dem schloss sich nun die "Unwort"-Jury unter dem Vorsitz der Sprachwissenschaftlerin Nina Janich an: "Döner-Morde" ist das Unwort des Jahres 2011. Das teilte sie am Dienstag in Darmstadt mit. Das Schlagwort verharmlose die Mordserie an acht türkischstämmigen und einem griechischen Kleinunternehmer.

Die Kölner Keupstraße nach dem Anschlag 2004: "Döner-Morde" verharmlost Verbrechen
Die Kölner Keupstraße nach dem Anschlag 2004: "Döner-Morde" verharmlost Verbrechen

In einer beispiellosen Mordserie wurden zwischen 2000 und 2006 neun ausländische Kleinunternehmer mit derselben Pistole getötet. Da zwei der Opfer Döner verkauften, wurden die Verbrechen oft als "Döner-Morde" bezeichnet. Die Ermittlungen blieben erfolglos - bis die Tatwaffe in einem Versteck der rechtsextremen Zwickauer Zelle gefunden wurde.
Mit der sachlich unangemessenen, folkloristisch-stereotypen Etikettierung einer rechts-terroristischen Mordserie würden ganze Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt und die Opfer selbst in höchstem Maße diskriminiert, indem sie aufgrund ihrer Herkunft auf ein Imbissgericht reduziert werden, befand auch die Jury. Der Ausdruck stehe prototypisch dafür, dass die politische Dimension der Mordserie jahrelang verkannt oder willentlich ignoriert wurde.
Schon kurz nachdem das erste Opfer von der Zwickauer Terrorzelle im Jahr 2000 getötet wurde, kam der Begriff "Döner-Morde" auf. Lange Zeit wurde auch spekuliert, ob die Opfer selber in kriminelle Machenschaften verstrickt gewesen wären und es sich bei den Morden um Racheaktionen aus dem türkisch-nationalistischen Milieu handele.
Die Jury, zu der neben vier Sprachwissenschaftlern und einem Journalisten als jährlich wechselndes Mitglied diesmal Heiner Geißler zählte, kritisierte auch zwei weitere Begriffe: "Gutmensch" greife das ethische ideal des "guten Menschen" auf hämische Weise auf, um Andersdenkende pauschal als naiv abzuqualifizieren. Und "Marktkonforme Demokratie" stehe für eine höchst unzuverlässige Relativierung des Prinzips, demzufolge Demokratie eine absolute Norm ist, die mit dem Anspruch von Konformität mit welcher Instanz auch immer unvereinbar ist.
Das Jahr 2011 verzeichnete mit 2420 Einsendungen einen historischen Höchststand der Bürgerbeteiligung. Nina Janich trat zum ersten Mal als Jury-Sprecherin auf, nachdem der langjährige Jury-Sprecher Horst-Dieter Schlosser im vergangenen Jahr auf eigenen Wunsch ausgeschieden war.
Zum "Unwort des Jahres 2010" war "alternativlos" gewählt worden. 2009 hieß das Unwort des Jahres "betriebsratsverseucht", 2008 "notleidende Banken". Neben der unabhängigen, sprachkritischen Jury wählt die Gesellschaft für deutsche Sprache das "Wort des Jahres". 2011 ist es der Modebegriff "Stresstest".

Dienstag, 10. Januar 2012

Sarrazins Pferdemist – Der Lippizaner schafft sich ab

Bei einem Auftritt im sächsischen Döbeln hat Thilo Sarrazin seine Thesen in die Sprache der Pferdezüchter übersetzt: edle Lippizaner und belgische Ackergäule. Was sich wie ein ironischer Beitrag liest, ist ein Auszug der blanken Niveaulosigkeit der Sarazzinischen Integrationsdebatte.
Ein Bericht aus Welt Online

Letztes Jahr schreckte eine Nachricht alle Liebhaber der Spanischen Hofreitschule auf: „Heuer wurden nur 31 Fohlen geboren – das ist die Hälfte des für die Zucht notwendigen Minimums. Damit ist die Lipizzaner-Zucht in akuter Gefahr.“ So Alfred Pischler, Leiter des österreichischen Bundesgestüts Piber. Bald bleibe nur noch die Inzucht. Der Lippizaner schafft sich ab.

Was passiert, wenn Ackergäule auf Lipizzanerpferde treffen? "Völlig klar", sagte Thilo Sarrazin, "die genetisch bedingte Fähigkeit zum Laufen sinkt"
Womit wir bei Thilo Sarrazin wären, der seine Thesen gern mit Beispielen aus der Tierwelt belegt: „Stellen Sie sich vor, dies sei ein Gestüt mit Lipizzanerpferden oder sonst irgendetwas, und irgendwie will es der Zufall, dass dort in jeder Generation einmal ein belgischer Ackergaul eingekreuzt wird“, erklärte Sarrazin seinen Zuhörern in Döbeln, einer sächsischen Stadt unweit von Chemnitz. „Völlig klar, die genetisch bedingte Fähigkeit zum Laufen sinkt, gleichzeitig steigt die genetisch bedingte Fähigkeit, eine Karre durch den Lehm zu ziehen. Aber das ist dann eine andere Eigenschaft. Und genauso ist es auch beim Menschen.“

Ein Ausländeranteil von 1,5 Prozent

Nun ja. Eigentlich ist es beim Menschen nicht genau so. Deutschland ist keine Zuchtanstalt, jedenfalls dachten wir, „Lebensborn“ sollte eine Ausnahme bleiben. Wohlwollend und die Metaphern mischend könnte man sagen, Sarrazin meine das nicht so, da seien halt die Gäule mit der Rampensau durchgegangen. Der Landkreis Döbeln hat einen Ausländeranteil von 1,5 Prozent, dafür bekommt die NPD 6,5 Prozent der Stimmen. Seit der Wende hat die Stadt 20 Prozent ihrer Bewohner verloren. Wer etwas aus sich machen wollte, arbeitet längst als Zuwanderer woanders.

Da hat Sarrazin, den IQ seiner Zuhörer ebenso kalt einkalkulierend wie ihre Ressentiments, halt den Leuten gegeben, was sie hören wollten: Sie sind keine dumpfen Loser, sondern edle Lippizaner, und sie sollten sich vorm „Einkreuzen“ artfremden Blutes in Acht nehmen. Belgische Ackergäule? Nö. Schon gar keine türkischen Dönerbudenbesitzer. Wer will denn Karren aus dem Dreck ziehen?

Die Szene war in einer WDR-Dokumentation zu sehen, in der Sarrazin auch gefragt wurde, ob ihn die Zustimmung der NPD nicht störe. „Wenn die NPD sagt, die Erde ist rund, werde ich nicht sagen, die Erde ist flach“, so der Ex-Bundesbanker, von dem böse Zungen behaupten, er arbeite an einem zweiten Buch mit dem Titel: „Europa schafft sich ab: Wie Zuwanderung unsere Währung gefährdet“. Der Punkt ist natürlich: Die NPD behauptet ja, die Erde sei flach. Ach, und was die Pferde angeht: Lipizzaner führen spanisches, neapolitanisches und – horribile dictu – arabisches Blut.

Sonntag, 8. Januar 2012

Muslimische Unterstützung im Kamf gegen Kirchenschließungen

Die Nachricht liest sich etwas kurios: Im Schatten der größten Moschee Deutschlands soll ein kleines katholisches Gotteshaus geschlossen werden. Das bedrückt selbst die Muslime, ihre Gemeinde ist empört und schreibt dem Bischof einen Brief.
Quelle: Nürnberger Nachrichten

Briefe, Mahnwachen, Besetzungen: Wenn der Bischof Kirchen schließt, regt sich Protest. Im Duisburger Norden will das Bistum Essen möglicherweise fünf bis sechs Gotteshäuser schließen. Ausgerechnet die einzige Kirche im Umkreis der größten Moschee Deutschlands soll darunter sein. Muslime aus der 2008 eröffneten Merkez-Moschee unterstützen die Katholiken jetzt in ihrem Kampf um den Erhalt des Gotteshauses.

Nur so könne Integration funktionieren. „Wir unterstützen den Erhalt des Gotteshauses moralisch und menschlich, denn uns verbindet eine langjährige interreligiöse Freundschaft“, sagt Muhammed Al, Vorsitzender des Vereins der Merkez-Moschee. Seit dessen Gründung 1984 gebe es einen engen Kontakt zur katholischen Gemeinde St. Peter und Paul, berichtet er: „Dass die Kirche geschlossen werden soll, bedrückt uns. Deshalb haben wir auch schon einen Brief an den Bischof geschrieben.“

Die katholischen Kirche St. Peter und Paul im Duisburger Stadtteil Marxloh soll geschlossen werden. Katholiken und Muslime wollen das verhindern.
Die katholischen Kirche St. Peter und Paul im Duisburger Stadtteil Marxloh soll geschlossen werden.
Katholiken und Muslime wollen das verhindern.  Foto: dpa
Bischof Franz-Josef Overbeck besuchte erst vor kurzem jene Gemeinden, die er 2015 vermutlich schließen wird. Eine Entscheidung kündigte Overbeck für den Ende Januar an. An Schließungen führe kein Weg vorbei, heißt es aus dem Ruhrbistum. Im Stadtteil Duisburg-Marxloh etwa seien nur noch 19 Prozent der Menschen katholisch. Doch seit Wochen regt sich Widerstand gegen das nahende Ende: Angelika Hoffmann ist Sprecherin einer Initiative „Gegen den Kirchenkahlschlag im Duisburger Norden“. Sie hat dem Bischof eine Erklärung mit deutlichen Forderungen vorgelegt. In der sogenannten „Hamborner Erklärung“ wird unter anderem absolute Transparenz bei möglichen Kirchenschließungen und die Einbindung von Laien und Ehrenamtlichen gefordert.

„Der Bischof muss uns erklären, warum renovierungsbedürftige und kostenintensive Bauwerke (...) als Gemeindekirchen erhalten bleiben (...) und zum Teil für viel Geld frisch renovierte Kirchen geschlossen werden müssen“, sagt Hoffmann. Neben dem Heimatverlust fürchten die etwa 29 000 betroffenen Katholiken im Duisburger Norden auch das Ende eines Stücks gelungener Integration im Problemstadtteil. „Wir haben uns gegenseitig besucht, erst vor kurzem war ich beim 100-jährigen Jubiläum von St. Peter und Paul“, sagt Muhammed Al. „Es haben sich tiefe Freundschaften entwickelt.“